Familienunternehmen prägen den deutschen Mittelstand. Sie stehen für Stabilität, Verantwortung und regionale Verankerung. Doch die Spielregeln ändern sich: Digitalisierung, geopolitische Unsicherheiten, Wettbewerbsdruck und der Fachkräftemangel stellen bewährte Erfolgsrezepte infrage. Gerade mittelständische Familienunternehmen müssen ihren Kurs neu ausrichten – zwischen Bewahren und Erneuern.
Denn die Zeichen stehen auf Alarm: Wer nicht rechtzeitig festgetretene Erfolgspfade verlässt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er in einer Sackgasse endet. So wie es in der Vergangenheit etablierten deutschen Unternehmen aus der Textilindustrie, der Unterhaltungselektronik, der Fotografie- und Kamerabranche, der Schreibwaren- und Büromaschinenindustrie, der Porzellan- und Keramikindustrie bis hin zu Spielwarenindustrie ergangen ist. Viele davon waren Mittelständler.
Aktuell scheint sich das Muster bei einst so unantastbaren Branchen wie der Automobilindustrie, dem Maschinenbau, der Stahlindustrie oder der Spezialchemie zu wiederholen. Die Schlüsselfrage lautet also: Wie kann der deutsche Mittelstand seine Fähigkeiten und Kompetenzen, die ihn oft genug zu echten „Hidden Champions“ gemacht haben, vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen, technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen wieder so kalibrieren, dass neue Erfolgsgeschichten möglich werden?
Die Stärken des Mittelstands – Hebel oder Hindernis?
Der deutsche Mittelstand hat unbestritten Stärken, um die das Land lange beneidet wurde. Dazu zählen werteorientierte Führung, langfristiges Denken, kurze Wege, Tüftlertum und hohe Mitarbeiterbindung. Genau diese Merkmale erschweren aber den notwendigen Schritt aus der Komfortzone.
Setzen Eigentümer auf Kontinuität, so besteht die Gefahr, dass sie die Notwendigkeit von Anpassungen nicht sehen. Ist die Belegschaft loyal, so stärkt dies Widerstände gegen die, die neue Perspektiven einbringen. Kurze Entscheidungswege sind kein Mehrwert, wenn sie nicht zu Neuem führen. Tüftlertum bringt wenig, wenn es zu Produktverliebtheit führt die keinen Mehrwert für Kunden bringt. Wenn man nicht aufpasst, kann die größte Stärke zugleich die größte Schwäche sein.
Natürlich wäre es für die Zukunft hilfreich, wenn die Weltwirtschaft wieder richtig Rückenwind geben würde und die politischen Verantwortlichen ein besseres Händchen beim Abbau der Bürokratie und der Gestaltung der sozialen Systeme hätten. Verantwortliche Mittelständler sollten gerade gegenüber der Politik den nötigen Druck aufrechterhalten und klare Kante zeigen, damit sich die Dinge zum Besseren wenden. Doch Jammern als solches hat noch kein Unternehmen erfolgreich gemacht – die Keimzelle der nachhaltigen Unternehmensentwicklung steckt im Unternehmen selbst.
Es gilt also, existierende Stärken auf die aktuellen Herausforderungen auszurichten und auf Hochglanz zu polieren. Ein 5-Punkte-Plan für mittelständische Unternehmen kann dabei den nötigen Kompass bieten.
Komfortzone verlassen – Zukunft gestalten: Der 5-Punkte-Plan
Mittelständische Familienunternehmen, die im globalen Wettbewerb bestehen wollen, können sich mit folgendem „Fahrplan“ erfolgreich auf die Zukunft ausrichten.
1. Strömungswiderstand abbauen
Der Strömungswiderstandskoeffizient beschreibt, wie gut zum Beispiel ein Auto durch die Luft gleitet. Was Luftwiderstand erzeugt und langsamer macht, wird gestrichen oder optimiert. Je niedriger der Wert, desto effizienter fährt das Fahrzeug. Analog könnte man von einem Strömungswiderstandskoeffizient mittelständischer Unternehmen sprechen. Was hält das Unternehmen im Wettbewerb auf? Im Kern geht es darum, alte Zöpfe zu finden und abzuschneiden, also „Strategic Streamlining“ zu betreiben. Unsere Studie im Rahmen dieser CxO News zeigt, dass gerade familiengeführte Unternehmen dazu neigen, sich zu spät von liebgewonnenen, aber unrentablen Produkten oder komplexen Organisationsstrukturen und Vorgehensweisen zu trennen. Die Frage ist: Ist der jahrzehntelange Erfolgsgarant auch in den kommenden Jahren ein Wachstumstreiber oder eher Ballast? Falls nicht eindeutig Wachstumstreiber: Ballast reduzieren!
2. Zielgerichtet anders und besser werden
Nicht wenige mittelständische Führungsetagen sind überzeugt, dass sie keine sorgfältig ausgearbeitete Strategie brauchen, sondern der Erfolg darin liegt, schnell auf neue Chancen reagieren zu können. Diese Haltung ist riskant: Ohne klare Ausrichtung wirkt jede Gelegenheit verlockend, was Verzettelung und das Übersehen wirklich großer Möglichkeiten zur Folge hat. Transformation funktioniert nur mit einem klaren Zielbild, was das Unternehmen sein möchte. Darauf aufbauend lässt sich das Geschäftsmodell gezielt weiterentwickeln: Wo soll Veränderung stattfinden („anders werden“) – etwa im Portfolio oder in der Wertschöpfung? Und wo kann gemeinsam im operativen Geschäft die Leistungsfähigkeit erhöht werden („besser werden“) – zum Beispiel durch standardisierte Prozesse oder optimierte Steuerungssysteme?
3. Partizipation als unterschätzte Wunderwaffe
Partizipation ist eine unterschätzte Wunderwaffe für die Entwicklung von mittelständischen Unternehmen, intern wie extern. Intern brauchen Mitarbeitende und Führungskräfte eine Bühne, um ihre Beobachtungen und Empfehlungen systematisch zu teilen. Aus unserer eigenen Erfahrung ist der Erfolg vieler Unternehmen das Ergebnis genauen Zuhörens durch die obersten Führungsetagen. Ideen, Stimmungen und Meinungen lassen sich beispielsweise in einer „Voice of the Company“ bündeln, einer web-basierten Befragungen vor der Strategieentwicklung, um Impulse aus der Organisation zu bekommen. Aber auch mit externen Partnern können wertschaffende Verbindungen aufgebaut werden, die das Unternehmen stärken. Doch mit der Gestaltung solcher Ökosysteme tun sich viele Mittelständler schwer, aus Sorge, übervorteilt zu werden oder Kompetenzen zu verlieren. Wer diese Zweifel aktiv ausräumt, eröffnet neue Pfade im Wettbewerb, etwa in der Produktentwicklung oder im Vertrieb bei der Suche nach Kostensenkungsmöglichkeiten.
4. Technologie-Trends mit Tradition vereinen
Die deutsche Automobilindustrie war lange der Ansicht, dass ihre Kompetenz in der Entwicklung und Bereitstellung attraktiver Fahrzeuge unangefochten sei. Die bestehende Lieferkette und die Zuliefererstrukturen funktionierten, hatten aber einen entscheidenden Haken: Sie waren nicht auf neue Technologien ausgerichtet. Asiatische Wettbewerber überzeugen heute nicht nur, weil sie günstiger sind, sondern weil sie konsequenter die Chancen neuer Technologien ergriffen haben, sei es in Bezug auf Elektromobilität, autonomes Fahren oder Benutzerfreundlichkeit. Die Lehre muss sein: Technologische Kompetenz bleibt der entscheidende Wettbewerbsvorteil. Unternehmen müssen konsequent dranbleiben, experimentieren und neue Ansätze erproben. Das ist das nötige „Tüftlertum 2.0“, das Unternehmen wieder für sich entdecken müssen.
5. Lust auf Zukunft entfachen
Der fünfte und letzte Punkt ist der entscheidendste: Unternehmen und ihre Mitarbeitenden brauchen Lust auf Zukunft, um nachhaltig erfolgreich zu sein. Gerade in schwierigen Zeiten liegt die Kunst darin, der Organisation in der Kommunikation, im Auftreten und im Feiern von kleinen und großen Erfolgen das Gefühl zu geben: „Wir sind besonders, wir packen das.“ Stolz und Verbundenheit sind Merkmale von Mittelständlern, auf die sie bauen können. Um diese zu stärken, zählen kleine Gesten, von der Betriebsfeier bis zum öffentlichen Lob, ebenso wie die regelmäßige Betonung der Unternehmenswerte wie Vision, Mission und Purpose. Leider liegen viele Leitbilder unter einer dicken Staubschicht verborgen oder sind durch nichtsagende Marketingsprüche verwässert. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie hier die Lust auf Zukunft neu entfacht werden kann. Wenn Inhaber und Top-Führungskräfte als Vorbilder vorangehen und klare Zielbilder und Erwartungen vermitteln, geht die Belegschaft den Weg mit.
Mittelständler, die den Change mit diesen fünf Punkten angehen, haben sehr gute Chancen, auch morgen und übermorgen noch „Hidden Champion“ in ihrem Spezialgebiet zu ein – und im globalen Wettbewerb ihre traditionellen Stärken als solche auszuspielen.
Wer mehr über moderne Strategiearbeit erfahren möchte, findet in meinem Buch „Strategy decoded. Wie Unternehmen Lust auf Zukunft bekommen” weitere wertvolle Impulse.
Kontakt
Dr. Oliver Greiner
Horváth-Studie : Tradition unter Druck – der Mittelstand im globalen Spannungsfeld

Dr. Anna-Katharina Wittenstein, WITTENSTEIN SE : „Familienunternehmen sind kein Gegenmodell zur Zukunft – sie sind ihr Rückgrat“



