Jetzt anmelden!

Interview Dr. Anna-Katharina Wittenstein, Gesellschafterin und Aufsichtsratsmitglied Wittenstein SE

„Familienunternehmen sind kein Gegenmodell zur Zukunft – sie sind ihr Rückgrat“

Welche Weichen stellt ein traditionsreiches Familienunternehmen, um als globaler Technologieführer für cybertronische Bewegung in Zukunft erfolgreich zu bleiben? Im Interview gibt Dr. Anna-Katharina Wittenstein, Gesellschafterin und Aufsichtsratsmitglied der WITTENSTEIN SE, Einblicke, wie das Unternehmen seine Identität bewahrt und gleichzeitig international wächst. Sie spricht über die Bedeutung von Verantwortung als Innovationsmotor und die Balance zwischen Tradition und Transformation.

Die WITTENSTEIN SE ist ein Familienunternehmen mit langer Tradition und globaler Technologiekompetenz. Was bedeutet für Sie persönlich diese Kombination aus Familien-DNA und Innovationsanspruch? :

WITTENSTEIN Unsere DNA ist langfristiger Motor und verlässlicher Kompass unseres Handelns. Wir denken und handeln generationenübergreifend, das heißt: Wir investieren auch und ganz bewusst in Themen, die erst in 10, 15, 20 Jahren Wirksamkeit entfalten – nicht nur für den kurzfristigen Erfolg.  

Als Eigentümerfamilie verstehen wir uns als Orientierungsgeber. Unsere Aufgabe ist es, Fragen zu stellen, Mut zu machen und den Raum zu beschreiben, in dem Neues entstehen kann und darf. Innovation ist für uns kein Selbstzweck, sondern Ausdruck von Verantwortung: Wir schaffen Nutzen, nicht nur Neuheit. Und das ist auch das, was wir vom Unternehmen fordern: Zukunftsorientierung als Tradition.  Der „WITTENSTEIN-Geist“ verbindet dabei Neugier, Mut und Verlässlichkeit mit einem tiefen positiven, zugewandten Menschenbild. Innovation entsteht dort, wo Vertrauen, Freiheit und Verantwortung zusammenkommen. Diese Haltung spürt man bei uns in der Art, wie wir führen, entwickeln und gestalten. 

Wie gelingt es WITTENSTEIN, die eigene Identität zu bewahren und gleichzeitig global zu wachsen? :

WITTENSTEIN Identität ist für uns nichts Starres, sondern etwas Lebendiges, das tief verwurzelt und zugleich elastisch ist. Das erlaubt uns, uns zu bewegen, ohne den Halt zu verlieren. Internationalisierung ist daher bei uns kein reines Wachstumsprojekt, sondern immer auch ein Kulturthema. Es beginnt damit, dass sich unsere Mitarbeitenden mit dem Unternehmen identifizieren. Durch Austausch und gegenseitige Inspiration wachsen wir gemeinsam, unsere WITTENSTEIN-DNA ist immer Teil des Dialogs. Unsere Architektur, Symbole und Rituale sind wiederum sichtbare Träger dieser Identität. Sie machen unsere Geisteshaltung erlebbar – ob in Igersheim oder an unseren insgesamt 25 Standorten weltweit.  

Viele Familienunternehmen stehen aktuell zwischen Tradition und tiefgreifendem Wandel. Was braucht es aus Ihrer Sicht, um diesen Spagat erfolgreich zu meistern? :

WITTENSTEIN Erstens, den Blick nach außen und die Erkenntnis, was es braucht, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Wer will schon an Traditionen festhalten, die einen in den Misserfolg führen?  

Zweitens: Rückbesinnung. Manchmal verwischt der Pioniergeist früherer Generationen über die Zeit. Diesen wieder zu aktivieren, kann Bewahren und Verändern miteinander versöhnen. Das ist wie ein altes Haus, das umgebaut wird und aus dem man die Farb- und manchmal auch Schmutzschichten vieler Jahrzehnte entfernt. Darunter kommt der wahre Kern zum Vorschein, mit dem man wieder weiter bauen kann. Manchmal ist das etwas überraschend Neues! 

Und drittens: Menschen mit der Gestaltung des Wandels beauftragen, die sowohl eine hohe Loyalität zum Unternehmen aufweisen als auch empfänglich für die Zeichen der Zeit sind. Denen nimmt man ab, dass sie die Veränderung im besten Interesse des Unternehmens vorantreiben.  

Familienunternehmen haben oft ein tiefes Verantwortungsgefühl gegenüber Region und Mitarbeitenden. Ist das ein Treiber oder ein Hemmschuh für Zukunftstechnologien? :

WITTENSTEIN Ganz klar: ein Treiber. Diese Verantwortung ist keine Bremse, sondern der Motor unserer Verlässlichkeit. Wir sehen den Menschen, nicht nur die Funktion. Das schafft Loyalität und Vertrauen und genau das ist die Basis, um Wandel überhaupt möglich zu machen. Technologie kann nur dort kraftvoll wirken, wo sie von Menschen getragen wird, die sich mit ihr identifizieren. Die Verantwortung zeigt sich bei uns im Alltag: in der Weiterentwicklung unserer Mitarbeitenden, in unserer regionalen Präsenz und in einer Haltung, die auch in Krisen trägt. Familienunternehmen sind kein Gegenmodell zur Zukunft – sie sind ihr Rückgrat. 

Deutschland spricht viel über Start-ups, weniger über innovationsstarke Mittelständler. Wie sehen Sie das: Stimmt dieses Bild oder übersehen wir dabei etwas? :

WITTENSTEIN Innovation geht von vielen Unternehmensformen und Organisationen wie Universitäten und Forschungseinrichtungen aus. Das ist übrigens auch die Stärke des deutschen Innovationsökosystems! Mittelständische Unternehmen, oftmals Familienunternehmen, innovieren seit vielen Jahrzehnten erfolgreich, sowohl in ihren angestammten Märkten als auch in neuen Anwendungsfeldern – basierend auf ihrer hohen technologischen Kompetenz und Marktkenntnis.  

Manchmal ist es aber leichter und schneller, Neues unabhängig von Bestehendem aufzubauen. Dabei haben Start-ups oder vergleichbare Strukturen innerhalb von Unternehmen Vorteile. Es war in den letzten Jahren wichtig, die bis dahin zu geringe Bedeutung von Start-ups für das Innovationsökosystem in Deutschland zu erhöhen und die Bedingungen zu verbessern, unter anderem auch durch Mobilisierung von privatem Wachstumskapital. Gerade in der Kooperation von etablierten Unternehmen mit Start-Ups sehe ich einen Innovationsbeschleuniger. Es ist also gar nicht erforderlich Unternehmen zu kaufen, vielmehr braucht es eine Offenheit für Zusammenarbeit und gegenseitiges Lernen! 

Über Dr. Anna-Katharina Wittenstein

Dr. Anna-Katharina Wittenstein ist Gesellschafterin und Aufsichtsratsmitglied der WITTENSTEIN SE, einem international tätigen Familienunternehmen für cybertronische Bewegung mit Sitz in Igersheim. Sie verantwortet unter anderem die Weiterentwicklung der Familien- und Eigentümerstrategie und steht für eine wertebasierte, innovationsorientierte Unternehmensführung. 

Arndt G. Kirchhoff, KIRCHHOFF Gruppe : „Der Mittelstand ist auch Rückgrat des gesellschaftlichen Zusammenhalts“

Zum Interview

Von der Überholspur ins Kiesbett : Was den Mittelstand ausbremst und wie er zurück ins Rennen findet

Zum Praxisbeitrag