Jetzt anmelden!

Interview mit Philipp Kortüm, Finanzvorstand TÜV Rheinland AG

„Wir sind prädestiniert für KI“

Vom Prüfzeichen zur KI-Kompetenz: Philipp Kortüm, CFO der TÜV Rheinland AG, treibt den Wandel zu einer daten-getriebenen Finanzorganisation voran. Seine Vision: eine „Autonomous Finance“-Organisation innerhalb von TÜV Rheinland. Mit über 60 Initiativen auf der Technologie-Roadmap will er KI im eigenen Finanzbereich verankern, gleichzeitig möchte sich TÜV Rheinland auch als führender Zer-tifizierer von KI-Systemen etablieren. Im Interview spricht Kortüm über Regulatorik, Konkurrenz aus China und den USA - und warum CFOs „Digital Heroes“ in ihren Teams brauchen.

Welche Bedeutung hat die zunehmende Automatisierung, unterstützt durch KI, für das Geschäftsmodell und die Wertschöpfung von TÜV Rheinland insgesamt? :

KORTÜM Als TÜV Rheinland wollen wir die Welt zu einem sicheren Ort machen. Die Sicherheit KI-gestützter Produkte und Dienstleistungen gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung und berührt direkt unser Kerngeschäft als globales Prüfunternehmen. Wir wollen uns als Dienstleister für Zertifizierungen von KI-Systemen etablieren, entwickeln eigene KI-basierte Services und nutzen KI auch intern zur Prozessoptimierung.

Haben Sie ein Beispiel, wo Sie KI im Dienstleistungsbereich einsetzen? :

KORTÜM Wir setzen KI zum Beispiel ein, um Fahrzeugschäden oder Defekte in großen Photovoltaikanlagen zu erkennen. Zudem auditieren und zertifizieren wir Medizinprodukte, die KI einsetzen, und bieten Zertifizierungen nach ISO 42001 an, der ersten internationalen Norm für ein Managementsystem für künstliche Intelligenz.

Wie nutzen Sie KI im Finanzbereich, und wie verändert sich Ihre Rolle als CFO dadurch? :

KORTÜM Finanzbereiche sind prädestiniert für KI: Sie verarbeiten große Datenmengen und Routine-Transaktionen – beides wie gemacht dafür, Abläufe zu automatisieren und KI zu nutzen. Wir haben bereits früh mit Cloud-Computing-Systemen, Datenbereinigung und klar definierten Prozessen die Basis geschaffen, KI einzusetzen, etwa bei der automatischen Verarbeitung von Rechnungen. Darauf bauen wir heute auf: Unsere „Future Finance“-Vision umfasst eine klare Technologie-Roadmap mit rund 60 Initiativen, die uns mittelfristig zu einer „Autonomous Finance“-Organisation führt.

Besonders in transaktionalen Prozessen wie Invoice-to-Pay sehen wir Effizienzpotenziale, während im Plan-to-Steer-Bereich KI bessere Einblicke und Prognosen ermöglicht. Damit entwickelt sich Finance stärker zum Business Partner und verbessert die Entscheidungsqualität deutlich. Der Kern der CFO-Rolle bleibt aus meiner Sicht unverändert: Statuarische (Pflicht-)Aufgaben müssen zuverlässig, effizient und organisationsnah erfüllt werden. Doch KI eröffnet zusätzliche Möglichkeiten, Ressourcen gezielter einzusetzen und die Entscheidungsqualität zu steigern. Gleichzeitig müssen wir technologische, regulatorische und kulturelle Risiken aktiv managen. Während bei den erstgenannten Risiken dem CFO eine zentrale Rolle bei der Ressourcenallokation und ROI-Bewertung zukommt, ist gerade bei Letzteren ein fundiertes Change-Management geboten. Es gilt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Veränderungsprozess zu befähigen und mitzunehmen. Entsprechend benötigt der CFO der Zukunft KI- Know-how, um die sich bietenden Chancen effektiv zu nutzen, Risiken zu steuern, Technologien zu beurteilen und zu nutzen sowie die Organisation optimal auszurichten und ihre Menschen nachhaltig für die Veränderungen zu begeistern.

TÜV Rheinland ist in mehr als 50 Ländern aktiv. Sehen Sie im internationalen Vergleich Unterschiede bei der Adaption von KI- und datengetriebenen Ansätzen? :

KORTÜM Die technologischen, gesellschaftlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen unterscheiden sich zwischen einzelnen Ländern und Regionen erheblich. In China beobachten wir eine sehr schnelle Umsetzung und Skalierung von KI-Technologien, während in Deutschland und Europa Datenschutz und ethische Standards beim Einsatz von KI traditionell eine deutlich größere Rolle spielen. In den USA und China bleibt KI teils bewusst unreguliert, um Wettbewerbsvorteile zu sichern. Diese regulatorischen Unterschiede werden bleiben, und wir helfen unseren Kunden, damit zurechtzukommen.

TÜV Rheinland hat bereits erfolgreich Basissysteme modernisiert, z.B. durch die Implementierung von SAP S/4HANA. Was sind nun die nächsten Schritte hinsichtlich KI, um auf dieser Basis konsequent aufzubauen? :

KORTÜM Ein Fokus liegt nun auf Predictive Analytics für präzisere Finanzprognosen, Natural Language Processing (NLP) für eine schnelle und fehlerarme Verarbeitung von Dokumenten und Process Mining sowie Robotic Process Automation (RPA) zur Automatisierung von Routineaufgaben. Zusätzlich optimieren Echtzeit-Dashboards unser Reporting, während KI-gestützte Lösungen in der Compliance für eine zuverlässige Einhaltung regulatorischer Vorgaben sorgen und Tools wie Chatbots Anwender dabei unterstützen, Analysen und Berichte weitgehend selbstständig zu erstellen.

Was würden Sie anderen Vorständen empfehlen, die ihr Unternehmen stärker daten- und KI-getrieben aufstellen wollen? :

KORTÜM Wichtig ist, die richtige Balance zu finden: Analysieren Sie die strategisch wichtigsten Bereiche und priorisieren Sie Ihre Initiativen entsprechend. Geben Sie Raum für Experimente und die Umsetzung von Quick Wins. Stellen Sie frühzeitig sicher, dass die Verantwortlichkeiten für die KI-Einführung und -Anwendungen klar geregelt sind. Das vermeidet kritische Fehler gerade im Umgang mit Datenschutz und Persönlichkeitsrechten!

Entwickeln Sie Use Cases – gern mit externen Impulsen –, aber nutzen Sie vor allem auch das Wissen und die Kreativität Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Beziehen Sie Ihre Belegschaft aktiv mit ein: Informieren Sie sie über Ziele, Hintergründe und den persönlichen Nutzen – und befähigen Sie sie im Umgang mit neuen Technologien. Wir haben dafür E-Learnings und eine interne „AI Challenge“ etabliert und bauen dies mit unserer Finance Academy weiter aus. Konsequent weitergedacht heißt das für mich auch: Etablieren Sie Experten und Multiplikatoren, die Finanz- und Digital-Know-how verbinden, - echte „Digital Heroes“ innerhalb Ihrer Finance-Organisation!

Über Philipp Kortüm

Philipp Kortüm ist seit 2021 Mitglied des Vorstands der TÜV Rheinland AG. Er verantwortet die weltweiten Finanz- und Controllingprozesse des Unternehmens und treibt die digitale Transformation der Finanzorganisation konsequent voran. Zuvor hatte er verschiedene Führungspositionen in internationalen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen inne und verfügt über langjährige Erfahrung in Finanzstrategie, Digitalisierung und Performance Management. 

Unternehmenssteuerung im KI-Zeitalter : Wie Performance Intelligence das Management smarter macht

Zum Artikel

Studienergebnisse : Performance Intelligence – die Zukunft der KI-basierten Unternehmenssteuerung

Zu den Ergebnissen