Interview mit Ulrike Taube, Mitglied des Vorstands der ERGO Vorsorge Lebensversicherung AG, verantwortlich für betriebliche Altersversorgung

Ulrike Taube über die strategische Stoßrichtung der bAV in der ERGO Vorsorge Lebensversicherung

Die bAV ist eine wesentliche Säule der Altersvorsorge in Deutschland. Die Dynamik im Markt, der steigende Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel und damit einhergehend veränderte Kundenbedürfnisse erhöhen den Druck auf die Versicherungen. Ulrike Taube, zuständige Vorständin für das Thema bAV bei der ERGO Vorsorge Lebensversicherung, erklärt im Interview mit Martin Müller, Leiter Insurance und Partner bei Horváth, die strategische Stoßrichtung der bAV in der ERGO Vorsorge Lebensversicherung.

Martin Müller: Frau Taube, Sie kennen das bAV-Geschäft seit vielen Jahren und sind seit April 2022 für die bAV bei der ERGO Vorsorge Lebensversicherung verantwortlich. Wie sehen Sie den bAV-Markt aktuell?

Taube / Der bAV-Markt ist groß, wächst stetig weiter und bietet noch viel Potenzial. Obwohl 2023 ein wirtschaftlich gutes Jahr gewesen ist und die Erwerbstätigkeit so hoch, wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr war, stagniert die Verbreitung der bAV bei rund 53 Prozent.  

Aus Arbeitgebersicht stellt insbesondere der steigende Arbeits- und Fachkräftemangel inzwischen eine Bedrohung für ganze Geschäftsmodelle dar. Arbeitgeber sind daher angehalten, diesem Trend entgegenzuwirken. Betriebliche Vorsorge, wie bAV, bKV und bUV, sollte dabei zusätzlich als Instrument zur Gewinnung und Bindung von Arbeits -und Fachkräften verstanden werden. Verschiedene Studien belegen, dass die bAV ein sehr wichtiges personalpolitisches Instrument ist.  

Ein essenzielles Thema für Arbeitnehmer ist die immer größer werdende Rentenlücke und die daraus entstehende Bereitschaft zur Eigenvorsorge über Arbeitgeber, die wohl jedem einzelnem Arbeitnehmer im persönlichen Arbeitsumfeld stetig bewusster wird. Daher ist es positiv zu werten, dass die Politik weiter an der Stärkung der betrieblichen Altersversorgung festhält und dies im Koalitionsvertrag verankert hat. Beispielsweise wird an einer Weiterentwicklung des Betriebsrentenstärkungsgesetzes oder der Möglichkeit eines freiwilligen Modells der automatischen Entgeltumwandlung mit Opting Out auf Betriebsebene ohne Tarifvertrag gearbeitet. 

Martin Müller: ERGO möchte aktiv am bAV-Wachstumsmarkt partizipieren. Wie positionieren Sie sich in diesem umkämpften Markt und wo sehen Sie Ihren USP?

Taube / Die ERGO Vorsorge Lebensversicherung verfügt über sehr gute „Assets“ und positioniert sich als ganzheitlicher Vorsorgepartner. 

In dieser Hinsicht bietet ERGO zahlreiche wesentliche Vorteile: Als äußerst finanzstarkes Unternehmen und mit der Munich Re als Rückversicherer im Rücken, bieten wir ganzheitliche Vorsorge- und Social-Benefits-Konzepte an. Dabei decken wir alle vertriebsrelevanten Durchführungswege ab und bieten die Möglichkeit, die gesamte Wertschöpfungskette nahtlos abzuwickeln.  

Unsere Ziele sind klar definiert: Wir wollen unsere Marktposition kontinuierlich verbessern. Dies wird uns gelingen, da wir bAV vom Kunden im Sinne eines durchgängigen Prozesses her denken – von der Kapitalanlage im eigenen Haus durch die MEAG bis hin zum versicherungsmathematischen Gutachten durch unseren Pensionsberater, die Longial GmbH. 

Martin Müller: Eine erfolgreiche Positionierung erfordert klare strategische und operative Schwerpunkte. Welche Handlungsfelder haben Sie für die ERGO Vorsorge Lebensversicherung identifiziert?

Taube / Ein wesentlicher Erfolgsfaktor in der bAV ist nach unserer Erfahrung eine für den Arbeitgeber möglichst einfache und haftungssichere Einrichtung der bAV und eine dauerhafte Begleitung durch Experten.  

Ein wichtiges Merkmal guter Beratung ist die aktive Ansprache von immer noch häufig anzutreffenden Sorgen vor zu hohen Aufwänden für das Unternehmen, Haftungsfragen oder die vermeintlich hohen Kosten. Wir wollen dem Arbeitgeber mögliche Ängste nehmen und Einwände entkräften. Daher greifen wir ihre Fragen, gerade in Bezug auf deren langfristig gegebene Verantwortung gegenüber ihren Arbeitnehmern von Anfang an auf und klären diese proaktiv.  

Für unsere erfolgreiche Positionierung sind die drei wichtigsten Handlungsfelder ausschlaggebend. Die Produktentwicklung, technische und operative Prozessoptimierungen sowie die erfolgreiche Ausrichtung unseres Vertriebes. Neben einer konsequenten Weiterentwicklung unserer Produktlösungen investieren wir also gezielt in die Modernisierung der IT-Infrastruktur und wollen auch durch eine weitere Digitalisierung der Geschäftsprozesse das positive Vertriebs- und Kundenerlebnis weiter verstärken. 

Martin Müller: Welchen Ansatz verfolgen Sie in der Produktentwicklung?

Taube / Wir sind als Komplettanbieter in der betrieblichen Altersversorgung tätig und bedienen alle relevanten Durchführungswege. Unser Ziel ist es, Lücken im Produktportfolio zu schließen und die bestehenden Produkte um marktrelevante Features zu erweitern.  

Mit einem neuen dynamischen Hybridprodukt erweitern wir in diesem Jahr gezielt unser Angebot für eine stärkere Partizipation an den Ertragschancen der Kapitalmärkte. Dies wird durch die Einbindung von fondsbasierten Anlagestrategien ermöglicht. Der Kunde wählt dabei anhand seiner Risikoneigung die für ihn passende Strategie. Mit der Möglichkeit einer wählbaren Garantiehöhe kann der Kunde sich für die für ihn angemessene Kombination von Sicherheit und Chancen entscheiden.  

Neben Altersvorsorgeprodukten bieten wir auch Berufsunfähigkeits- und Grundfähigkeitsabsicherungen an, sowohl für Einzelpersonen als auch für Kollektive. Es ist uns wichtig, Produkte aus Kundensicht zu entwickeln. Wir setzen daher den Fokus auf spartenübergreifende Produktkonzepte wie bKV und bUV und wollen Kollektive als Wachstumstreiber nutzen. 

Martin Müller: Effiziente Prozesse sind eine Grundvoraussetzung. Was tun Sie in diesen Bereichen, welche Mehrwert stiften Sie?

Taube / Wir arbeiten kontinuierlich an technischen und operativen Prozessoptimierungen und haben bereits Portal-Lösungen eingeführt, mit denen Arbeitgeber ihre bAV-Verwaltung vereinfachen. Das Thema Einfachheit steht dabei für uns über allem: Die bAV der Zukunft muss so gestaltet sein, dass sie jeder versteht – und das gilt gleichermaßen für Arbeitgeber, -nehmer und Vermittler.  

E2E-Prozesse werden dabei aus Arbeitgeber-, Arbeitnehmer- bzw. Vermittlersicht gedacht und sollten möglichst kundenorientiert, digital und serviceorientiert sein. Daher investieren wir in digitale Prozesse und Dokumente, den Ausbau der Kunden- und Serviceorientierung sowie die Weiterentwicklung der bAV-Portale. Einige Highlights sind die Anbindung an die Portale Xempus und eVorsorge, neue verschlankte U-Kassen-Prozesse, die Abschaffung der Papierpost oder der Wegfall von Formularen. Ganz neu investieren wir in den sogenannten Budgetberater von Xempus um unseren Vertriebspartnern die Arbeitgeberberatung noch einfacher zu machen. Im Bereich der Grundfähigkeitsversicherung sind wir zum Launch sogar Exclusiv-Anbieter mit der ERGO Body Protect. 

Martin Müller: Wie richten Sie den Vertrieb erfolgreich aus?

Taube /  Wir setzen darauf, die bAV über alle Vertriebswege als vertriebliches Dauerthema zu platzieren, um die Vertriebsaktivierung voranzutreiben. 

Dabei wollen wir für Makler das Thema bAV attraktiver machen und selbstbewusst, aber unterstützend und zugewandt auftreten. Die Wahrnehmung der ERGO bAV als fokussierter Komplettanbieter soll dabei gestärkt werden.  

Zudem streben wir an, den Ausschließlichkeitvertrieb durch Schulungen und Konzepte zu befähigen, bAV einfacher zu verkaufen. Unser Ziel ist außerdem eine Verzahnung der verschiedenen Sparten zu erreichen und eine einfache, rechtssichere Konzeptberatung sowie eine lebenslange Kundenbindung zu erreichen. 

Martin Müller: Welches Fazit ziehen Sie? Wo denken Sie, wird der bAV-Markt in 5 bis 10 Jahren stehen?

Taube / In Zeiten zunehmend knapper Kassen der sozialen Sicherungssysteme wird die bAV weiter an Bedeutung gewinnen, weil den Arbeitnehmern der Bedarf an eigenständiger Vorsorge immer bewusster wird und hier der Arbeitgeber einen entscheidenden Beitrag zur Zufriedenheit seiner Mitarbeiter leisten kann. Das oberste Ziel muss sein, die Durchdringungsquote in Deutschland zu erhöhen. Es wäre wünschenswert, wenn im Jahr 2030 der Verbreitungsgrad oberhalb von 70 Prozent läge. 

Die Politik hat 2018 mit dem BRSG bereits weitreichende Maßnahmen auf den Weg gebracht. Mit dem für Mitte 2024 angekündigten erneuten Reformpaket (BRSG II) wird die bAV zusätzlichen Rückenwind erhalten. 

Die bAV wird für Arbeitgeber in Zeiten eines weit verbreiteten Fachkräftemangels ein immer wichtigerer Faktor, um Mitarbeiter zu halten. Für Beschäftigte ist sie zur Schließung von Versorgungslücken ein unverzichtbarer Baustein. 

Vielen Dank für das aufschlussreiche Interview, Frau Ulrike Taube!