Artikel: Nachhaltigkeit im Einkauf: Zwischen regulatorischen Unsicherheiten und strategischem Mehrwert
Wie nachhaltig ist der Einkauf in deutschen Industrieunternehmen wirklich? Eine aktuell durchgeführte Umfrage unter unseren Kunden zeigt: Die Relevanz ist erkannt, doch es fehlt bislang oft an Strategie, Prozessen und Rückendeckung durch das Top-Management. Die ganzheitliche Verankerung von Nachhaltigkeit im Einkauf eröffnet weit mehr als ökologische Vorteile: Sie schafft Transparenz, senkt Kosten durch effizientere Prozesse und stärkt die Resilienz globaler Lieferketten.
Nachhaltigkeit im Einkauf erfüllt die Erwartungen noch nicht
Um den aktuellen Reifegrad nachhaltiger Einkaufspraktiken branchenübergreifend zu bewerten, hat Horváth mehr als 60 Fachleute aus neun Industriezweigen, von der produzierenden Industrie bis zur Finanzwirtschaft, befragt. Die Teilnehmenden bewerteten die Relevanz und den Umsetzungsstand verschiedener Maßnahmen entlang von sieben zentralen Dimensionen. Das Ergebnis zeichnet ein klares Bild: Die strategische Bedeutung des nachhaltigen Einkaufs ist erkannt, doch die praktische Umsetzung bleibt in vielen Unternehmen hinter den Ambitionen zurück.
Trotz wachsender regulatorischer Anforderungen und gesellschaftlicher Erwartungen haben nur 30 Prozent der befragten Unternehmen konkrete Nachhaltigkeitsziele und eine passende Implementierungsroadmap formuliert. Jedoch stufen mehr als 85 Prozent die Thematik als strategisch relevant ein. Klare Zielbilder und eine feste Verankerung im Einkauf sind somit bislang nicht flächendeckend vorzufinden, da Nachhaltigkeit in vielen Unternehmen noch als ergänzendes Thema betrachtet wird.
Regulatorische Unsicherheiten und fehlende Anreize bremsen Fortschritt
Die regulatorische Landschaft rund um Nachhaltigkeit im Einkauf wird zunehmend komplex und ist von Unsicherheiten geprägt. Abgeschwächte Anforderungen und verschobene Fristen führen in vielen Unternehmen zu einer abwartenden Haltung. Besonders deutlich zeigt sich diese Diskrepanz bei der EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) und der EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD). Ohne verlässliche Vorgaben fehlt es an Planungssicherheit, was die Integration in Einkaufsprozesse erschwert. Obwohl eine Mehrheit der Befragten die EUDR als relevant einstuft, hat bislang nur ein Drittel die Anforderungen tatsächlich umgesetzt.
Viele Unternehmen haben bereits erste ESG Governance-Maßnahmen im Einkauf umgesetzt. So verfügen mehr als 70 Prozent über einen Lieferanten-Code-of-Conduct, welcher ESG-Aspekte beinhaltet. Doch bei der Incentivierung nachhaltigen Handelns in der Einkaufsorganisation, beispielsweise durch ESG-Zielsysteme, besteht noch großes Entwicklungspotenzial. Die geringe Verbreitung entsprechender Anreizsysteme zeigt, dass Nachhaltigkeit im Einkauf in Bezug auf die Einkaufsmitarbeitenden und -führungskräfte bislang selten aktiv gesteuert wird.
Warengruppen- & Lieferantenmanagement: Stark variierende Umsetzungsgrade und Prioritäten
Im nachhaltigen Lieferantenmanagement sind erste Fortschritte sichtbar: Über 60 Prozent der Unternehmen nutzen bereits standardisierte Fragebögen und Scorecards zur Bewertung der Nachhaltigkeitsperformance und stufen deren Relevanz sehr hoch ein. Dies lässt sich in vielen Fällen auf regulatorische Anforderungen zurückführen, beispielsweise aus dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Bei nachhaltigen Vergabekriterien und Entwicklungsplänen für Lieferanten hingegen ist die Umsetzung noch nicht systematisch erfolgt. Die Einschätzung der Relevanz variiert stark, was auf unterschiedliche Reifegrade und Prioritäten in den Unternehmen hindeutet. Unternehmen müssen erste pragmatische Anforderungen aufstellen, um ihre Mitarbeitenden sowie Lieferanten nicht abzuhängen.
Strukturelle Verankerung und digitale Integration als zentrale Erfolgsfaktoren
Nachhaltigkeit wird bisher nur bedingt in Rollenprofile und Prozessbeschreibungen integriert. Lediglich 30 Prozent der befragten Unternehmen haben entsprechende Anforderungen in Rollen und Stellenprofilen verankert. Besonders Schulungskonzepte für Mitarbeitende und Lieferanten gewinnen an Bedeutung und werden bereits von einer wachsenden Zahl an Unternehmen umgesetzt. Dennoch zeigt sich: Die strukturelle Verankerung von Nachhaltigkeit im Einkauf ist vielerorts noch im Aufbau, was sich nicht zuletzt in der fehlenden Verankerung von Nachhaltigkeit in den Einkaufsprozessen zeigt. Um langfristig Wirkung zu erzielen, braucht es klare Verantwortlichkeiten, definierte Rollen und Prozesse sowie gezielte und adressatengerechte Qualifizierungsmaßnahmen.
Die technische Infrastruktur im Einkauf ist in vielen Unternehmen bereits vorhanden. 60 Prozent der befragten Unternehmen haben bereits Nachhaltigkeitsrating-Tools im Einsatz, und 40 Prozent nutzen Carbon-Accounting Lösungen. Doch die vollständige Integration in bestehende eProcurement-Systeme ist mit nur 10 Prozent noch die Ausnahme. Auch bei der Definition von KPIs lässt sich noch viel Potenzial heben: Obwohl über 80 Prozent die Relevanz entsprechender Kennzahlen als mittel oder hoch einstufen, haben lediglich 21 Prozent der befragten Unternehmen bereits konkrete ESG KPIs im Einsatz. Das zeigt: Die Datenbasis ist oftmals vorhanden, jetzt braucht es eine systematische und methodische Verknüpfung.
Carbon Management: Scope-3-Emissionen bleiben die zentrale Herausforderung
Die Erhebung und Steuerung von Emissionsdaten entlang der Lieferkette insbesondere in Bezug auf Scope-3 Emissionen stellt Unternehmen vor die größte Herausforderung. Zwar existieren erste Ansätze zur Treibhausgas-Berechnung und zur Definition von Reduktionszielen, doch ein klarer Transitionsplan auf Basis von Primärdaten liegt nur bei etwa 20 Prozent der befragten Unternehmen vor. Die Relevanz wird erkannt, die Umsetzung ist jedoch komplex und ressourcenintensiv.
Fazit: Nachhaltigkeit im Einkauf als Weg zur langfristigen Transformation
Die Ergebnisse der Umfrage zeigen deutlich: Nachhaltigkeit ist im Einkauf angekommen und die Relevanz wird in vielen Bereichen als hoch eingestuft. Doch zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine Lücke, die sich insbesondere auf regulatorische Unsicherheiten und wirtschaftliche Herausforderungen zurückführen lässt. Dennoch gilt, wer handelt, kann regulatorische Risiken minimieren, die eigene Lieferkette resilient und zukunftsfähig gestalten und sich als nachhaltiger Marktführer positionieren.
Hambsch, K. / Pöhner, B. / Laubenthal, J. / Neuberger, J.