Studie: Zwischen Tradition und Transformation – Mittelstand muss weiter Federn lassen und tut sich schwer mit Veränderungen

  •  56 Prozent der deutschen Mittelständler gehen von deutlicher Schwächung des „Rückgrats der deutschen Wirtschaft“ aus – ein Viertel sieht regelrecht schwarz für die Zukunft 
  • Personalabbau kommt am Hauptsitz an 

  • Tradition vs. Transformation: Charakteristische Stärken des Mittelstands können in aktueller Gemengelage zu Stolpersteinen werden 

  • Mittelstand investiert zu wenig in KI 

  • In jedem zweiten Familienunternehmen steht ein Generationswechsel bevor, weitere 44 Prozent stellen auf komplett externes Management um 

  • Trotz kritischer Gesamtlage ist die Stimmung in den meisten mittelständischen Unternehmen optimistisch 

Die Managementberatung Horváth hat Verantwortliche aus 200 mittelständischen Unternehmen zu ihrer Geschäftsentwicklung und den Zukunftsaussichten befragt. Ein eklatantes Ergebnis der Studie: 56 Prozent prognostizieren, dass der deutsche Mittelstand in den kommenden Jahren geschwächt wird. 24 Prozent sehen mit Blick auf den globalen Wettbewerbsdruck regelrecht schwarz. Sie sind überzeugt: Die Zahl der Mittelständler nimmt deutlich ab, da sie global immer weniger wettbewerbsfähig sind. 

Gefragt, welche Faktoren ihr eigenes Unternehmen insgesamt am stärksten gefährden, antworten die Unternehmen – der Reihenfolge nach in absteigender Priorität – mit globalen Handelskonflikten, Fachkräftemangel, digitaler Disruption inklusive Cyberrisiken und Bürokratie. „Dieses Potpourri an externen Stressoren für den deutschen Mittelstand ist nicht neu, entfaltet aber erst jetzt die volle Wirkung, wo die Reserven schmelzen“, so Heiko Fink, Studienleiter und Horváth-Vorstand.  

Vor diesem Hintergrund erstaunt es, dass Führung und Belegschaft vergleichsweise gelassen bleiben. Auf einer Skala von 1 „sehr angespannt“ bis 6 „sehr optimistisch“ bewertet das Mittel die Stimmung im eigenen Haus mit 4,9 Punkten. „Viele Mittelständler haben eine lange Unternehmenshistorie und Tradition, sie lassen sich von äußeren Krisen nicht leicht aus der Ruhe bringen. Doch sie benötigen auch tendenziell mehr Zeit, unvermeidbare Maßnahmen zu ergreifen – was existenziell werden kann“, so Fink. 

Stellenabbau erreicht Stammsitze  
So greift, was in den vergangenen Jahren und Monaten bereits angefangen hat, in den – häufig familiengeführten – mittelständischen Unternehmen, jetzt auch am Stammsitz: Stellenabbau und Personalverlagerungen ins Ausland. Mehr als jedes sechste befragte Unternehmen wird seine Personaldecke bis 2027 spürbar verschlanken. Vom Abbau betroffen sind vor allem die deutschen Standorte, etwa 75 Prozent entfallen auf diese. An den Stammsitzen, den Unternehmenszentralen, sind rund 40 Prozent der Streichungen auf die kommenden zwei Jahre vorgesehen. 

Mit längerfristigem Blick auf 2030 plant sogar jeder zweite Mittelständler einen Abbau innerhalb Deutschlands. Hauptgründe sind zu hohe Personalkosten, Effizienzsteigerung durch Automation und Technologie sowie ein zu starres und unflexibles regionales Arbeitsrecht. Sieben von zehn Mittelständlern geben an, dass bei flexiblerem Arbeitsrecht nicht in dem Ausmaß Wertschöpfung und Personal verlagert werden müsste, wie es derzeit geschieht. Auch das Investitionsbudget, das am Standort Deutschland verbleibt, wird drastisch reduziert: von 55 Prozent auf 40 Prozent anteilig an den Gesamtinvestitionen (CAPEX). 

Bürokratie-Tiger als Achillesferse 
Neben strengen arbeitsrechtlichen Vorgaben sehen sich die Befragten von einer ganzen Reihe regulatorischer beziehungsweise bürokratischer Vorgaben ausgebremst. Am stärksten werden lange und aufwändige Genehmigungsverfahren als Hemmnis gesehen. 70 Prozent der Befragten werden davon nach eigenen Angaben stark oder sehr stark behindert. Es folgen Dokumentations- und Berichtspflichten (68%, z. B. Lieferkette) sowie Energie- und Klimaschutzauflagen (68%). Datenschutzvorgaben monieren zwei Drittel der befragten Mittelständler. Ebenso viele hadern mit Schriftformerfordernissen und wünschen sich mehr offizielle digitale Kommunikation. „Insgesamt ist es das Bündel an Regulatorik, das es den Unternehmen angesichts der hohen Lohn- und Produktionskosten noch schwerer macht, im globalen Wettbewerb zu bestehen, und noch unattraktiver, auf den deutschen Standort zu setzen.“ 

Tradition und Eigentümereinfluss als Hemmschuhe 
Auf die Frage, was den Erfolg von Transformationen im eigenen Haus am stärksten negativ beeinflusst, ist die häufigste Antwort: „Festhalten an der Vergangenheit“. Ganz konkret hat dies in jedem vierten mittelständischen Unternehmen bei jüngsten Transformationsmaßnahmen zu Problemen geführt. „Das Muster zeigt sich zwar auch bei anderen Unternehmen, doch die – meist familiär geprägten –Mittelständler sind besonders traditionsverhaftet und langfristig orientiert“, sagt Horváth-Vorstand Heiko Fink. „Das ist einerseits eine Stärke, und wenn die Eigentümer einmal überzeugt sind, riskieren und investieren sie auch. Wenn die Zeichen der Zeit aber nicht erkannt werden, wird es gefährlich.“ Ein starker Einfluss der Eigentümerfamilie in operative Entscheidungen wird in jedem achten Unternehmen klar als negativ und hemmend benannt (13%). 

Führungswechsel in Familienunternehmen: 70 Prozent vor gravierendem Management-Change 
Wie die Studie weiter zeigt, kündigt sich in vielen Unternehmen ein „Wind of Change“ in der Führung an: Bis 2030 wird sich bei 52 Prozent der familiengeführten Mittelständler nach eigenen Angaben ein Generationenwechsel auf Geschäftsführungsebene vollziehen. Weitere 44 Prozent bereiten einen Wechsel auf ein rein externes Management ohne Familienbeteiligung vor. „Bis das neue Management richtig zum Laufen kommt, sollten die Unternehmen allerdings nicht warten. Die Zeit des Umbruchs ist jetzt, indem strategisch die richtigen Weichen gestellt und Transformationen gezielt und wirksam zur Umsetzung gebracht werden müssen“, so Horváth-Experte Heiko Fink. 

Mittelstand investiert zu zögerlich in KI 
Die charakteristische Langfristperspektive, die kurzfristige Trends eher ausblendet beziehungsweise vorbeilaufen lässt, könnte dem Mittelstand gerade in Bezug auf den KI-Siegeszug zum Verhängnis werden. Denn wie Studiendaten der Managementberatung Horváth zeigen, investiert der Mittelstand deutlich weniger in KI-Technologie und -Implementierung als Großunternehmen. Für 2025 sind bei Mittelständlern nur 0,4 Prozent des Umsatzes dafür eingeplant, bei Unternehmen ab fünf Milliarden Euro Umsatz sind es 0,5 Prozent. „Mittelständler investieren zu wenig in KI-basierte Lösungen, gerade wenn man bedenkt, dass die Unternehmen durch Automation einen großen Hebel zur Effizienzsteigerung und damit zur Kostenoptimierung haben“, so Fink. 

Strategisch in der alten Welt verhaftet 
Ein weiteres Studienergebnis: Die Mehrheit der Unternehmen setzt trotz veränderter Parameter strategisch weiterhin klassisch auf Umsatzwachstum und Expansion. 59 Prozent stellen Umsatzsteigerung (deutlich) vor Renditeoptimierung. Ein Drittel verfolgt eine ausgewogene Strategie (32%), und nur zehn Prozent setzen einen klaren Margenfokus, arbeiten also stärker an der Renditeoptimierung als an der Umsatzsteigerung. „Bei dem anhaltend hohen Kosten- und Wettbewerbsdruck ist ein strategisches ,weiter so‘ nicht ratsam. Natürlich gilt es, bestehende Kapazitäten auszulasten und hierfür notfalls auch geringere Renditen in Kauf zu nehmen. Doch strategisch Umsatzwachstum – deutlich – vor Renditeoptimierung zu stellen, kann schnell zur Gefahr werden”, sagt Fink. Angesichts der begrenzten organischen Wachstumsmöglichkeiten rücken zudem Zukäufe vermehrt in den Fokus. Immerhin: eine Optimierung der strategischen Positionierung steht bei vielen Mittelständlern derzeit auf dem Plan. Es ist hinter Maßnahmen zur Wertschöpfungssteigerung das zweithäufigste Thema von Transformationsprogrammen. 

Transformationen gestartet – Zuversicht für eigene Zukunft gegeben 
Generell stehen 60 Prozent der Unternehmen nach eigenen Angaben in grundlegenden oder großen Transformationen, die Standortverteilung, Produkte und Kundenstrukturen betreffen. „Der Umbruch ist groß und er ist eingeleitet. Doch nur wenn der Mittelstand den Wandel mit voller Überzeugung, vom Produktportfolio über Technologieinvestitionen bis hin zur Anpassung der Kostenstrukturen und dem eigenen Footprint angeht, wird er auch übermorgen noch das Rückgrat der deutschen Wirtschaft sein können“, fasst Fink zusammen. „Das ausgeprägte Selbstbewusstsein und die optimistische Grundhaltung im Mittelstand sind in jedem Fall gute Voraussetzungen, die Transformationen erfolgreich zu bewältigen.“ 

Über die Studie 
Für die vorliegende Studie hat die Managementberatung Horváth 200 deutsche mittelständische Unternehmen mit 100 Millionen bis 5 Milliarden Euro Jahresumsatz branchenübergreifend befragt. Die Befragungen fanden im Oktober und November 2025 statt. Die Hälfte der Stichprobe ist familiengeführt (100 Unternehmen), d.h. die Eigentümerfamilie ist Teil der Geschäftsführung. Die andere Hälfte ist familienkontrolliert, d.h. die Eigentümerfamilie ist Teil des Aufsichtsrats bzw. Kontrollgremiums.