- Für 2025 und 2026 erwarteten die führenden europäischen Medizintechnikanbieter bislang spürbare Ergebnissteigerungen durch höheren Absatz – US-Zölle machen nun nicht nur die Hoffnungen auf Gewinne zunichte, sondern schmelzen auch den finanziellen Puffer ab, der durch konsequente Kostenoptimierung geschaffen wurde
- Nischenanbieter und Unternehmen mit regionalisiertem „Production Footprint“ im Vorteil
Bis vor wenigen Wochen blickten Vorstands- und Geschäftsführungsmitglieder der führenden europäischen Medizintechnikunternehmen noch optimistisch auf 2025 und 2026. Für beide Jahre planten jeweils neun von zehn Führungskräften mit einem Ergebniswachstum, resultierend aus höheren Absatzvolumina. Konkret rechneten 86 Prozent für 2025 mit einem Plus von mehr als fünf Prozent, für 2026 gingen 79 Prozent von einem Wachstum dieser Größenordnung aus – so die Studie „MedTech Executives Flash Report" der Managementberatung Horváth.
„Die US-Zölle verhageln den Anbietern nun ihre Businesspläne, auch wenn inzwischen bereits etwa jedes dritte europäische MedTech-Unternehmen eigene Produktionsstandorte in Nordamerika aufgebaut hat“, sagt Philipp Temmel, Studienleiter und Partner bei Horváth. Bei den übrigen Firmen steht die Regionalisierung der Supply Chain beziehungsweise die Anpassung des ,Production Footprint‘ nach dem Prinzip ‚local for local‘ spätestens jetzt auch ganz oben auf der Agenda, oder befindet sich aktuell in der Umsetzung.
Nischenplayer im Vorteil
Was einigen Unternehmen laut Horváth-Experte Temmel zugutekommt: „Für Spezialprodukte gibt es weltweit nur wenige Anbieter. Kurz- bis mittelfristig lassen sich Entwicklung und Produktion dieser Produkte in Nordamerika keinesfalls aus dem Boden stampfen. Es bleibt den US-Abnehmern also keine andere Möglichkeit, als die Preisaufschläge zu zahlen“, so der Studienleiter. Was die Hersteller dennoch empfindlich trifft, sind verschobene Käufe und Investitionen seitens der Kunden sowie die durch Zollaufschläge verteuerten Materialien beziehungsweise Teile. Außerdem neigten die Käufer im aktuellen Klima der Verunsicherung eher dazu, Produkte mit durchschnittlicher Qualität zu erwerben anstatt im High-Class-Segment.
Finanzieller Puffer durch Kostenoptimierung schmilzt – Investitionen in Zukunftsthemen in Gefahr
Auf der Managementagenda ganz oben stand und steht bei den für die Horváth-Studie befragten Unternehmen weiterhin das Thema Kostenoptimierung. „Der finanzielle Handlungsspielraum, der durch konsequente Kostensenkung und Effizienzsteigerung geschaffen wurde und eigentlich für notwendige Transformationen und Innovationen gedacht war, wird angesichts der drastisch nach unten korrigierten Umsatzpläne sehr wahrscheinlich zur Liquiditätssicherung benötigt“, so Branchenexperte Philipp Temmel. Das Handlungsfeld „Automatisierung & AI-Implementierung“ rangiert hinter der Kostenoptimierung dennoch an zweiter Stelle der Top-Management-Prioritäten der Branche für 2025, gefolgt vom Thema „Optimierung organisatorischer Strukturen. „Dieser Dreiklang wird das Jahr 2025 prägen, strategische Themen werden nachrangig behandelt“, so Temmel. „Im Bereich Digitalisierung und AI werden die Unternehmen nun umso mehr darauf achten müssen, in Technologien zu investieren, die nachweisbar durch Use Cases einen echten Beitrag zur Wertschöpfung leisten.“
„Im Worst Case ein ,lost year’”
Was empfiehlt die Managementberatung Horváth den Medizintechnik-Herstellern in der aktuellen Situation? Branchenexperte Temmel: „Im Worst Case entpuppt sich das laufende Jahr hinsichtlich Wachstum als ein ,lost year‘. Die Entwicklung ist aber derart dynamisch, dass die Unternehmen sich nicht beirren lassen sollten und ihre Digitalisierungs- und Relokalisierungs-Programme ungeachtet der Zollentwicklungen weiterführen – und sich auf ihre Assets konzentrieren, wie exzellente Produkte und technologische Innovationen.“
Über die Studie
Für die Studie „MedTech Executives Flash Report“ wurden in persönlichen Tiefeninterviews Vorstands- und Geschäftsführungsmitglieder marktführender europäischer Medizintechnik-Hersteller bzw. Life-Sciences-Unternehmen mit Medizintechniksparte zu Geschäftsaussichten und strategischen Prioritäten befragt. Die Stichprobe ist repräsentativ für diesen Industrie-Ausschnitt. Die Auswertung erfolgte im April 2025.