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Interview mit Anne Rethmann, CFO Thüga AG

„Die Revolution liegt in der Geschwindigkeit, Skalierbarkeit und Präzision, mit der Prozesse optimiert werden können“

Künstliche Intelligenz wird für die Energiewirtschaft zum Gamechanger – mit Potenzialen entlang der gesamten Wertschöpfung, von der Prognose über die Netzstabilität bis hin zum Kundenservice. Im Interview sprechen wir mit Anne Rethmann, Finanzvorständin der Thüga AG, dem größten Verbund kommunaler Energie- und Wasserversorger in Deutschland. Sie erklärt, wo die größten Potenziale für den nächsten technologischen Quantensprung liegen und warum Unternehmen in ihrer KI-Journey ein unternehmensweites KI-gestütztes Prognose- und Steuerungssystem priorisieren sollten.

Wo sehen Sie bei der Thüga AG die größten Potenziale für Künstliche Intelligenz in den operativen Prozessen – etwa in Wartung, Netzmanagement oder Kundenservice? :

RETHMANN Im vergangenen Jahr haben wir für unsere Partnerunternehmen eine strategische Orientierungshilfe zur KI-Strategie entwickelt. Neben einer strukturierten Methodik zur Erstellung einer Unternehmens-spezifischen KI-Strategie haben wir uns auch die Felder mit möglichst hohem Potenzial entlang der Wertschöpfungskette von Energieversorgern angeschaut. Dabei ist sehr schnell klar geworden, dass Potenziale entlang der gesamten Wertschöpfung bestehen. Aktuell passiert bei den Stadtwerken viel im Bereich Vertrieb und Kundenservice; hier werden bereits verschiedene Lösungen erfolgreich eingesetzt. Aber auch von der Erzeugung, über die Netze, bis zum Handel zeigen sich Anknüpfungspunkte. Vor allem im Bereich der Prognosen zeigt sich ein sehr hohes Potenzial: Predictive Maintenance, Lastprognosen, Wettereinfluss, Marktgeschehen und Handelsprognosen. Im Netzmanagement wiederum kann KI die Netzstabilität in Echtzeit analysieren und Lastflüsse optimieren.

Es ist sehr schnell klar geworden, dass Potenziale entlang der gesamten Wertschöpfung bestehen.

Was meinen Sie, wie weit kann KI die operative Steuerung von Unternehmen in den nächsten fünf Jahren wirklich revolutionieren? :

RETHMANN In den kommenden Jahren wird KI die operative Unternehmenssteuerung nicht nur unterstützen, sondern in vielen Bereichen autonom übernehmen. Wir sprechen hier von Echtzeit-Entscheidungen auf Basis komplexer Datenströme – sei es bei der Netzstabilisierung, der Lastverteilung oder der Wartungsplanung. Die Revolution liegt nicht nur in der Technologie, sondern in der Geschwindigkeit, Skalierbarkeit und Präzision, mit der Prozesse optimiert werden können. Voraussetzung dafür ist jedoch ein tiefgreifender Wandel in Datenqualität, Systemintegration und Governance.

Was wäre für Sie der nächste „Quantensprung“ in den Operations – Automatisierung, Predictive Maintenance oder KI-gestützte Netzsteuerung? :

RETHMANN Der nächste „Quantensprung“ ist im Feld der KI nur sehr schwierig abzuschätzen. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Technologie weiterentwickelt, ist auf jeden Fall beeindruckend. In der generativen KI sehen wir aktuell eine starke Entwicklung hin zu multimodalen Modellen und den sogenannten KI-Agenten – also KI-Anwendungen, die eigenständig miteinander agieren und Prozessschritte durch Zusammenarbeit automatisieren. Hier sehe ich auch weiterhin den größten Hebel: Automatisierung. Der wahre Quantensprung liegt vermutlich in der Integration – wenn Automatisierung, Prognose und Steuerung nicht mehr getrennt gedacht, sondern als intelligentes Gesamtsystem umgesetzt werden. 

Wenn Sie bei der Thüga AG nur ein Data- oder KI-Projekt sofort umsetzen könnten – welches wäre es? :

RETHMANN In der Energiewirtschaft, in der Stromerzeugung und -verbrauch zu jedem Zeitpunkt ausgeglichen sein müssen, müssen wir KI nutzen, um die zunehmende flexible Erzeugung durch erneuerbare Energien mit dem unterschiedlich anfallenden Verbrauch zusammenzubringen – und das mit einem guten Netz- bzw. Lastmanagement. Wir müssen daher immer auf die gesamte Wertschöpfungskette schauen, da wird ein einziges Projekt kaum ausreichen.  

Ich würde daher ein unternehmensweites KI-gestütztes Prognose- und Steuerungssystem für Netz und Erzeugung priorisieren. Die Herausforderungen der Energiewende – volatile Einspeisung, steigende Lasten, dezentrale Strukturen – verlangen nach einem intelligenten, lernenden System, das nicht nur reagiert, sondern proaktiv steuert. Ein solches Projekt hätte unmittelbare Wirkung auf Versorgungssicherheit, Effizienz und Nachhaltigkeit. 

Wie priorisieren Sie Investitionen in digitale Infrastruktur angesichts regulatorischer Unsicherheiten und hoher Kapitalbindung? :

RETHMANN In der Energiewirtschaft steht gerade das Thema Bezahlbarkeit ganz vorne, sowohl für die Bürgerinnen und Bürger als auch für die Wirtschaft. Dabei ist Digitalisierung ein wichtiger Enabler, um gerade datengetriebene und automatisierbare Prozesse kostengünstig und effektiv umzusetzen. Daher sind Investitionen in Digitalisierung und KI kein Nice-to-have, sondern Bestandteil einer jeden Strategie energiewirtschaftlicher Unternehmen.  

Wir bei Thüga setzen auf drei Prinzipien. Erstens: Modularität – Investitionen müssen flexibel skalierbar sein. Zweitens: Partnerschaften – durch Kooperationen mit Technologieanbietern und Start-ups lassen sich Risiken teilen. Und drittens: Strategische Roadmaps – wir priorisieren Projekte, die sowohl kurzfristige Effizienzgewinne als auch langfristige Transformationspotenziale bieten. 

Wie verändert sich die Rolle von Führungskräften in einem Unternehmen, das zunehmend auf datenbasierte Entscheidungsunterstützung setzt – und wie sichern Sie die Akzeptanz dieser Systeme? :

RETHMANN Die Adaption der neuen Technologie bedeutet in vielerlei Hinsicht ein vollständiges Umdenken in Bezug auf die Arbeitsweise. Nehmen Sie das Stichwort Flexibilitäten: Mit dem zunehmenden Einsatz von Smart Metern und anderen Messinstrumenten werden viertelstundenbezogene Daten zu Energieverbrauch und -erzeugung vorliegen. Geräte wie Heizungen, Batterien und Elektroautos werden preisoptimiert gesteuert. KI-basierte Prognosen und Algotrading optimieren den Handel, digitales Netzmanagement steuert die Energiedurchleitung. All das gelingt nur, wenn Führungskräfte wie auch Mitarbeitende die Bedeutung des Datenmanagements und die Möglichkeiten der Automatisierung verstehen und ihre Organisation entsprechend befähigen.  

Die technologische Entwicklung ist rasend schnell – aber unsere gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind so unsicher wie lange nicht mehr. Führungskräfte müssen daher geschäftliche Möglichkeiten erkennen, Veränderungen vorantreiben und ihre Teams auf diesem Weg mitnehmen und insbesondere ermutigen und befähigen – eine verantwortungsvolle Aufgabe. Es ist wichtig, in diesem Transformationsprozess Klarheit und Kompass nicht aus den Augen zu verlieren, aber immer nah an den Menschen zu bleiben.  

Über Anne Rethmann

Anne Rethmann ist seit 2024 Finanzvorständin der Thüga AG, dem größten Verbund kommunaler Energie- und Wasserversorger in Deutschland. Nach ihrem Einstieg 1991 bei der Treuhandanstalt Berlin durchlief sie Stationen bei der GSD GmbH (später Siemens Medical Solutions), wo sie 2001 zur kaufmännischen Geschäftsführerin berufen wurde. 2009 wechselte sie zur Siemens AG als Head of Business Administration Health Services International, und ab 2015 war sie Kaufmännische Geschäftsführerin und Vice President Finance Europe bei Cerner Health Services Deutschland. Ab 2019 übernahm sie bei der Autobahn GmbH des Bundes die Verantwortung für Finanzen, IT, Recht, Risikomanagement und Informationssicherheit. Rethmann verfügt über langjährige Erfahrung in Finanzen, IT und strategischer Unternehmenssteuerung. Sie treibt bei Thüga die Digitalisierung und Transformation der Energiewirtschaft aktiv voran. 

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