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Stahl im Spannungsfeld von Politik und Markt

Die Stahlindustrie steht vor tiefgreifenden Herausforderungen: Importdruck, Absatzverluste, Preisverfall und Margendruck belasten die Branche massiv. Gleichzeitig gewinnen politische Maßnahmen und neue Regularien wie der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) an Bedeutung. Unternehmen müssen ihre Strategien anpassen, um widerstandsfähiger zu werden und aktiv auf politische Rahmenbedingungen einzuwirken.

Die Stahlindustrie befindet sich in einer strukturellen Krise, die gravierende Auswirkungen auf Wettbewerbsfähigkeit und Wertschöpfung hat. Globale Handelsbeziehungen werden zudem durch geopolitische Spannungen, politische Maßnahmen und wirtschaftliche Machtverschiebungen belastet. Diese Entwicklungen sind nur ein Teil der marktverzerrenden Faktoren. Insbesondere die Zollpolitik hat diese Spannungen weiter verschärft. 

Unternehmen sind gefordert, ihre strategische Ausrichtung zu überdenken und sowohl Lieferketten als auch Absatzmärkte widerstandsfähiger gegenüber geopolitischen Risiken zu machen. Dabei spielt die Politik eine zentrale Rolle als externer Einflussfaktor, der darauf abzielt, nationale Industrien und Unternehmen zu schützen. Die Abhängigkeit von politischen Rahmenbedingungen ist hoch, weshalb es für Unternehmen entscheidend ist, aktiv auf politische Maßnahmen zu reagieren und diese gezielt zu adressieren. Durch kontinuierliche Mitgestaltung und Einflussnahme auf politischer Ebene lässt sich ein indirekter Schutz vor den genannten Risiken sicherstellen. 

Viele Unternehmen der Stahlindustrie tun sich jedoch schwer damit, die politische Ebene aktiv zu adressieren und positive Impulse für die Branche Einfluss zu setzen.  

Handelspolitische Dynamiken und schützende Maßnahmen

Zölle, Exportbeschränkungen und Investitionskontrollen gelten als präferierte Mittel zur Umsetzung nationaler Interessen. Besonders deutlich wird dies an den Maßnahmen der USA, die insbesondere im Bereich Stahl und Eisen mit Einfuhrzöllen von bis zu 50 Prozent agieren und daneben eine breite Palette weiterer Importzölle auf zahlreiche Produkte (u.a. Aluminium, Technologie- und Konsumgüter) eingeführt haben. Diese Politik erhöht die Spannungen im Dreieck der dominanten Akteure USA–EU–China, wobei auch zunehmend der Blick auf Indien gerichtet wird.  

Es zeichnet sich eine klare Tendenz zu schützenden Maßnahmen ab, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Stahlindustrie als geopolitischer Schnittpunkt eine hohe Relevanz beigemessen wird. Diese Entwicklung wird durch mehrere Faktoren verstärkt, darunter die zentrale Bedeutung der Stahlindustrie für Infrastruktur, Verteidigung und die Energiewende. Gleichzeitig stellen zunehmende Überkapazitäten eine Herausforderung dar, insbesondere durch strukturelle Überschüsse in China durch staatliche Subventionen. Gleichzeitig unterstreichen neue Regularien, wie der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) die klimabezogene Bedeutung von Stahl und rücken die Branche stärker in den Fokus der Politik. 

Schützende Maßnahmen und Handelsbarrieren sind somit längst kein Ausnahmeinstrument mehr, sondern ein etabliertes Mittel geopolitischer Einflussnahme. Die daraus resultierenden dynamischen Veränderungen langjähriger Handelsbeziehungen machen eine strategische Anpassung daher unerlässlich. 

Protektionistische Maßnahmen

Um unfaire Handelspraktiken bewusst zu adressieren, verfügt die EU über ein etabliertes Regelwerk an Schutzmaßnahmen. Die Trade Defence Instruments (TDI), die durch die Welthandelsorganisation (WTO) etabliert wurden, ermöglichen es, externe Wettbewerbsverzerrungen abzufedern und die Funktionalität des Binnenmarktes aufrechtzuerhalten. Ohne diese geeigneten Schutzmaßnahmen könnten die europäischen Unternehmen erhebliche Wettbewerbsnachteile erleiden. Im Zentrum stehen dabei drei Maßnahmen sowie der CBAM, als ein weiteres Instrument. 

Antidumpingmaßnahmen 
Das Antidumpingverfahren setzt dort an, wo ein Verdacht besteht oder Beweise vorliegen, dass es zu einem Verkauf von Produkten aus einem Drittlandstaat kommt, bei dem der Verkaufspreis unterhalb des Normalwertes liegt. Der Normalwert entspricht dabei entweder dem Preis der Ware, wie sie auf dem Heimatmarkt des Nicht-EU-Unternehmens verkauft wird, oder einem Preis, der auf den Produktionskosten und dem Gewinn basiert. Damit es zum Einsatz dieser Maßnahmen kommen darf, muss eine eindeutige Verbindung zu einer nachgewiesenen Schädigung eines Wirtschaftszweiges gewährleistet sein. Die Maßnahme kann dabei ein fixer Zoll, prozentualer Aufschlag oder Mindestpreis je Mengeneinheit sein. 

Antisubventionsmaßnahmen (Countervailing Duties) 
Dieser Mechanismus adressiert gezielt durch Zölle staatlich begünstigte Wettbewerbsverzerrungen und wird zur Sicherstellung gleicher Marktbedingungen herangezogen. Die Maßnahmen tragen damit zur Neutralisierung unrechter Preisvorteile bei.  

Safeguardmaßnahmen 
Safeguards finden bei außergewöhnlich stark ansteigendem Importvolumina ihren Einsatz und stellen ein reaktives Mittel dar. Die Einsatzbeurteilung geschieht dabei unabhängig vom Herkunftsland und ohne Bewertung der handelsbezogenen Fairness. Sie richtet sich damit gegen Einfuhren aus allen Ländern in die EU. Ziel ist die Zeitgewinnung zur Umstrukturierung der eigenen Industrie und der Schutz vor Strukturbrüchen in sensiblen Branchen, wie die Stahl- und Bauindustrie. Eine konkrete Umsetzung erfolgt in unterschiedlichen Formen – diese können von Zollkontingenten bis temporären Zollaufschlägen reichen. 

CBAM  
Neben den klassischen handelspolitischen Schutzinstrumenten gewinnt ein weitertes Instrument zunehmend an Bedeutung: Mit dem Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) etabliert die EU eine zusätzliche Maßnahme zur Absicherung ihrer Schlüsselindustrien, um das Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen zu vermeiden, dass sich aus den verstärkten Klimaschutzbemühungen der EU ergibt. Kosten von Drittlandsimporten werden auf das gleiche Preislevel wie das der heimischen Produkte angehoben – so wird sichergestellt, dass die gleichen Emissionspreise für diese Importe anfallen. 

Effektive Umsetzung handelspolitischer Schutzmaßnahmen

Zur nachhaltigen Sicherstellung fairer Wettbewerbsbedingungen reicht das alleinige Einführen handelspolitischer Schutzinstrumente wie Antidumpingzölle nicht aus. Entscheidend sind eine wirksame Umsetzung, Überwachung und Anpassung dieser Maßnahmen. Nur so lassen sich Marktverzerrungen wirkungsvoll korrigieren.  

  • Permanentes Monitoring: Die Notwendigkeit einer frühzeitigen Erkennung von Auffälligkeiten bei Mengen oder Preisen von Gütern. 

  • Zollkonformität & Dokumentation: Sicherstellung korrekter Anmeldungen und Nachweise für Zollprüfungen. 

  • Kooperation mit Behörden: Die aktive Nutzung von Reaktionsmöglichkeiten durch Transparenzpflichten. 

  • Compliance bei Sanktions- und Korrekturmaßnahmen: Einschließlich Strafzölle, Nachverzollung oder Rückerstattung. 

Handlungsempfehlungen für Unternehmen

Unternehmen müssen ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht nur durch Effizienz und Innovation sichern, sondern auch gezielt einen eigenen Beitrag zu ihrem Schutz leisten. Dies wird unter anderem durch eine gezielte Ansprache der politischen Ebene erreicht, indem kritische Daten zu Kostenpositionen, konkrete Fallbeispiele oder die Ergebnisse von Preis- und Mengenentwicklungen eingebracht werden.  

Um dies zu ermöglichen, sollten Unternehmen frühzeitig Transparenz über ihre Kostenstrukturen, Abhängigkeiten und Risikoszenarien herstellen. Strategische Optionen sind systematisch zu bewerten und regulatorische Anforderungen effizient zu erfüllen. Darüber hinaus sollten Reportingstrukturen ausgebaut werden und interne Prozesse konsequent auf Resilienz ausgerichtet werden. 

Um sich vor protektionistischen Handelspraktiken zu schützen, sollten Unternehmen eine aktive Rolle auf politischer Ebene einnehmen. So können sie ihre Interessen vertreten und gleichzeitig ihre Wettbewerbsfähigkeit langfristig sichern.  

  • Gezielte Einflussnahme auf politische Entscheidungsträger 
    - Unternehmen sollten fundierte Daten zu Kostenstrukturen, Abhängigkeiten und den Auswirkungen protektionistischer Maßnahmen bereitstellen. 
    - Konkrete Fallbeispiele können genutzt werden, um die Dringlichkeit der Anliegen zu verdeutlichen. 

  • Gezielte Exportsteuerung  
    - Systematischer Preisvergleich der Non-EU-Verkäufe zum Inlandsmarkt, um so ein eigenes Antidumping in Drittländern zu vermeiden. 

  • Markttransparenz auf Drittlandsmärkte 
    - Regelmäßiges Beobachten und Analysieren von Marktentwicklungen, um proaktiv auf Gerüchte und Ankündigungen reagieren zu können. 

Ein weiterer wichtiger Ansatz ist der Aufbau einer internen Public-Affairs-Position oder die Zusammenarbeit mit Branchenverbänden.  

  • Public Affairs und Verbandsarbeit 
    - Zusammenarbeit mit Branchenverbänden, um gemeinsame Anliegen zu bündeln und stärker aufzutreten. 
    - Kooperation mit internationalen Handelskammern oder Lobbygruppen, um die eigene Position auf globaler Ebene zu stärken. 

Darüber hinaus sollten Unternehmen ihre internen Prozesse auf Resilienz ausrichten, um besser auf politische Maßnahmen reagieren zu können. 

  • Stärkung der Resilienz durch interne Maßnahmen 
    - Diversifizierung von Lieferketten, um Abhängigkeiten von bestimmten Ländern oder Märkten zu reduzieren. 
    - Ausbau von Reportingstrukturen, um frühzeitig auf regulatorische Änderungen reagieren zu können. 
    - Systematische Bewertung strategischer Optionen, um flexibel auf protektionistische Maßnahmen zu reagieren. 

Abschließend ist es essenziell, die Politik regelmäßig über branchenspezifische Herausforderungen zu informieren und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Dies kann durch den Austausch mit politischen Entscheidungsträgern und die Diskussion von Maßnahmen erfolgen, die sowohl der Branche als auch der Wirtschaft insgesamt zugutekommen. 

Die Rolle Horváths

Als erfahrener Transformationspartner unterstützt Horváth Unternehmen, die Herausforderungen in einem zunehmend unsicheren Marktumfeld strategisch anzugehen. Wir unterstützen hierbei insbesondere bei folgenden Themen: 

  • Transparenz, Datenaufbereitung und Prozessoptimierung 
    Wir schaffen Transparenz über Kostenstrukturen, Abhängigkeiten sowie Risiken und optimieren gleichzeitig Reportingstrukturen, wie auch interne Prozesse. Dadurch bieten wir Unternehmen eine fundierte Grundlage für strategische Entscheidungen sowie politische Einflussnahme und versetzen sie in die Lage, frühzeitig auf regulatorische Änderungen zu reagieren und effizienter zu arbeiten 

  • Strategische Optionen und Resilienz 
    Wir bewerten strategische Handlungsoptionen, wie die Diversifizierung von Lieferketten, und entwickeln Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz, um Unternehmen widerstandsfähiger gegen protektionistische Maßnahmen zu machen. 

  • Public Affairs und politische Einflussnahme 

Wir unterstützen beim Aufbau von Public-Affairs-Strukturen, der Zusammenarbeit mit Verbänden und der Entwicklung von Kommunikationsstrategien, um politische Entscheidungsträger gezielt anzusprechen und die Interessen des Unternehmens zu vertreten. 

Sprechen Sie uns gerne an, wir freuen uns auf den Austausch. 

Poscher, B. /  Müller, A.