Studie: Automobilindustrie beißt sich durch – muss aber Federn lassen

  • 84 Prozent der Unternehmensverantwortlichen befürchten einen Handelskrieg mit den USA, der sich längere Zeit negativ auf die deutsche Automobilindustrie auswirkt
  • Personalverlagerung der Autoindustrie ins Ausland nimmt weiter zu - sieben von zehn Unternehmen planen weiteren Personalabbau in Deutschland
  • Aber: Fast 40% der Investitionen der Automobilunternehmen mit Zentrale in Deutschland sind in den kommen 5 Jahren an den Heimatstandorten geplant (+13% gegenüber 2024)
  • EU-Marktanteile von mehr als 5% gehen an China-Konkurrenz, prophezeit die Branche – das Rennen für deutsche Premium-Hersteller in China ist offen
  • Immerhin: OEMs holen bei der Fahrzeugsoftware auf und sehen sich in wenigen Jahren (endlich) wieder auf Augenhöhe mit asiatischen Vorreitern
  • OEMs und Zulieferer haben ihre KI-Investitionen zwischen 20 Prozent und 40 Prozent erhöht gegenüber 2024

Die deutsche Autoindustrie leidet massiv unter den US-Zöllen, wie eine aktuelle Horváth-Befragung unter Vorstands- und Geschäftsführungsmitgliedern von mehr als 90 OEMs und Zulieferern, mehrheitlich aus Deutschland, zeigt. Während in der gesamten produzierenden Industrie für das laufende Jahr weniger als die Hälfte moderate oder starke Umsatzeinbußen in ihrem US-Geschäft prognostizieren (46%), sind es bei den Autobauern und Zulieferern drei Viertel (74%). Eine für die EU positive politische Einigung hatte bisher nur eine Minderheit für realistisch gehalten. 84 Prozent gehen in unserer Befragung davon aus, dass der Handelskonflikt zwischen USA und Europa länger anhalten wird mit stark negativen Folgen für die deutsche Autoindustrie. „Es ist positiv, dass durch den nun vorliegenden Deal zwischen der EU und den USA mehr Planungssicherheit besteht und noch gravierendere Folgen für die deutsche Autoindustrie verhindert werden konnten. Dennoch stellen auch Zölle in Höhe von 15 Prozent eine erhebliche Belastung im Vergleich zum ursprünglichen Niveau von 2,5 Prozent vor dem Regierungswechsel in den USA dar“, so Horváth-Partner Frank Göller.

Kostenoptimierung bleibt Nr.1 Priorität mit erheblichen Einsparzielen für 2025

Vor dem Hintergrund der Zollbelastung sowie der sich weiter verschärfenden Markt- und Wettbewerbsbedingungen überrascht es nicht, dass Kostenoptimierung als strategische Managementpriorität im Automotive-Sektor das vierte Jahr in Folge auf Platz 1 steht. „Nach wie vor liegt der Automobilabsatz in Europa ca. 20% unter dem Niveau vor der Corona-Krise und die Margen sind stark unter Druck. Was schon vor den globalen Handelskonflikten aufgrund der Transformation hin zur Elektromobilität begonnen hat, hat sich zu einem ausgewachsenen Sturm entwickelt, dem die Unternehmen dank konsequenter Kostenoptimierung und Restrukturierung aber standhalten und gewachsen sind – auch wenn sie Substanz lassen müssen“, sagt Studienleiter und Horváth-Partner Frank Göller. Die Automobilunternehmen planen 2025 mit erheblichen Kosteneinsparzielen von durchschnittlich ca. 3,5% vom Umsatz. Je nach Unternehmensgröße handelt es sich somit um Einsparungen in Millionenhöhe bis hin zu Beträgen im einstelligen Milliardenbereich.

Vier von fünf OEMs und sieben von zehn Zuliefern planen Personalabbau in Deutschland und verlagern Arbeitsplätze ins Ausland

Die Befragungsergebnisse zeigen, dass die meisten Automobilunternehmen in den kommenden drei Jahren in Deutschland deutlich an Personal abbauen werden. OEMs (77%) planen dabei noch häufiger Stellenstreichungen als Zulieferer (70%). Werkschließungen oder -zusammenlegungen planen mittelfristig 62 Prozent der untersuchten Unternehmen. Die Lohn- und Produktionskosten in Deutschland sind zu hoch, dazu reißen weitere nachteilige Standortfaktoren die Bilanz nach unten. „Insgesamt betrachtet werden 2025 die Belegschaften der Autounternehmen im Durchschnitt lediglich um 1,5% reduziert, jedoch setzt sich der Trend der Verlagerung von Arbeitskräften aus Deutschland an Standorte im Ausland beschleunigt fort. Die Automotive-Konzerne haben sich in den vergangenen Jahren erfolgreich resilient und global diversifiziert aufgestellt“, so Horváth-Experte Göller. Wachstumsregionen, in denen Personal aufgestockt wird, sind – der Priorität nach – Indien, China, Osteuropa, sowie Nordamerika.

Zwei Drittel rechnen mit Verbesserung der Standortbedingungen – Anteil der geplanten Investitionen in Deutschland steigen sogar

Auf die Frage, wie der Trend weitergeht, äußert sich Frank Göller zumindest vorsichtig optimistisch: „Die Mehrheit der CxOs, mit denen wir Interviews geführt haben, ist davon überzeugt, dass die Politik in Deutschland die Rahmenbedingungen spürbar verbessern wird in den kommenden 1-2 Jahren. Die Zuversicht macht sich auch am Anteil der Investitionen bemerkbar, die am heimischen Standort verbleiben. Gemessen am gesamten Investitionsbudget (CAPEX) planen die deutschen Firmen, bis 2028 rund 40 Prozent am Hauptstandort zu investieren. Das ist ein Anstieg um 13 Prozent gegenüber den Angaben aus dem Vorjahr. Doch wie passt das zusammen? „Investiert wird massiv in Digitalisierung, Automatisierung in der Produktion sowie generell in die Umrüstung von Werken für die künftigen Fahrzeugmodelle und -komponenten“, so Frank Göller. Dies sei der eindeutige Tenor aus einer Vielzahl an Gesprächen mit Top-Managern. Zudem gibt ein weiteres Studienergebnis deutliche Hinweise. Während fast alle Kostenarten gesenkt werden sollen, bleiben die R&D-Investitionen vergleichsweise unberührt. Denn: Produktinnovationen und Zukunftsthemen sind existenziell, um sich gegenüber der weltweiten Konkurrenz und neuen Wettbewerbern aus China zu behaupten. „Es kommt jetzt darauf an, innerhalb der nächsten 1-2 Jahren wieder ein positives Investitionsklima in der Autoindustrie in Deutschland zu schaffen“, so Frank Göller. Dies hänge neben der Absatzentwicklung und der Lösung von Handelskonflikten ganz wesentlich davon ab, welche Strukturreformen und Verbesserungen der Standortbedingungen auf Bundesebene sowie in der EU tatsächlich realisiert werden.

Der Durchbruch der E-Mobilität in Europa wird innerhalb der kommenden drei Jahre kommen

In punkto Produktportfolio und technologischer Reife haben die deutschen Hersteller spürbar Fortschritte gemacht. Inzwischen sind nahezu alle OEMs (88%) vom Durchbruch der Elektromobilität in Europa innerhalb der nächsten drei Jahre überzeugt und überwiegend auch mit geeigneten Modellen der nächsten Generation darauf vorbereitet. Etwa 50% der Zulieferer glauben ebenfalls dann den Durchbruch der E-Mobilität in diesem Zeitraum. Die Software ist weiterhin eine Achillesferse, aber auch hier gibt es optimistische Signale: die Unternehmen attestieren sich selbst, spätestens innerhalb der nächsten 5 Jahre auf Augenhöhe mit der asiatischen Konkurrenz zu stehen, was Software-Applikationen im Fahrzeug angeht. 70% der Studienteilnehmer sind von dieser Entwicklung überzeugt.

„Die meisten Unternehmen verfolgen konsequente Strategien zur Stärkung der Innovationskraft und die geplanten Maßnahmen werden die Wettbewerbsfähigkeit der OEM und Zulieferer deutlich verbessern“, ist Automotive-Experte und Horváth-Partner Frank Göller überzeugt. „Die Unternehmen sind sich im Klaren darüber, in welche Zukunftsthemen sie trotz aller Kostenreduktion investieren müssen und verschaffen sich dafür durch Einsparungen an anderer Stelle den nötigen finanziellen Handlungsspielraum.“

Chinesische Autobauer etablieren sich in Europa – das Rennen für deutsche Hersteller im Premium-Segment in China ist offen

Die Automobilmanager rechnen überwiegend (78%) damit, dass sich chinesische Autobauer im europäischen Markt etablieren werden und in den kommenden Jahren einen Marktanteil >5% erreichen werden. Der chinesische Markt bleibt hart umkämpft und fast 2/3 der befragten Top-Manager sieht, trotz aktueller Rückschläge, das Rennen im Premium-Segment für deutsche Autobauer in China als offen an. Deutlich pessimistischer sind 95% der Studienteilnehmer für das Volumensegment in China. Hierfür wird mit deutlich reduzierten Marktanteilen in den kommenden Jahren für die deutschen Autobauer gerechnet. „China ist ein riesiger Markt und hat daher nach wie vor höchste Priorität für die deutsche Automobilindustrie. Selbst bei reduzierten Marktanteilen sind immer noch signifikante Volumen möglich“, gibt Frank Göller zu bedenken.

KI-Investitionen zwischen 20% und 40% erhöht

Der Mega-Trend KI spielt auch in der Automobilindustrie eine immer stärkere Rolle. Das zeigt sich auch an den erhöhten Investitionen für Entwicklung und Implementierung von KI-Technologien.  Die Automobilunternehmen haben die Investitionen in KI zwischen 20% und 40% erhöht im Vergleich zur Befragung vor einem Jahr. Der Reifegrad für KI-Technologien in den Unternehmen ist sehr unterschiedlich ausgeprägt und mehr als 50% der Unternehmen sehen sich noch am Anfang bei der Nutzung dieser Technologie. „In den Gesprächen mit vielen Top-Managern wurde deutlich, dass bezüglich KI sehr viel in Bewegung gekommen ist und bereits in den nächsten 1-2 Jahren ein echter Schub bei neuen KI-Anwendungen in allen Unternehmensprozessen zu rechnen ist“, so Frank Göller. „Zudem ist auf jeden Fall noch viel Luft nach oben, da KI und Automation wesentliche Hebel für Kostenreduktion, Effizienzsteigerung, aber auch für Entwicklung und Innovation sind“, ist sich der Automobilexperte sicher.


Über die Studie

Für die großangelegte Horváth-Studie wurden Interviews mit insgesamt über 1.000 Vorständen und Geschäftsführungsmitgliedern großer international agierender Unternehmen geführt, davon 91 OEMs und Zulieferer, mehrheitlich aus Deutschland. Die Interviews wurden im zweiten Quartal 2025 geführt und im Juli ausgewertet.

 

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