Insurance Insights

Produktentwicklung in der Versicherung: was wir von Sportschuhen lernen können

+++ Produktverständnis im Versicherungsunternehmen muss erweitert werden +++ Integration verschiedener Dimensionen bietet viele Vorteile +++ Unternehmen anderer Branchen zeigen in Teilen wie es geht +++

In der Versicherungsbranche sprechen wir täglich über Asset Liability Management, Schadenabwicklung, Value at Risk, Bestandsprovisionen, Policierung, Chain-Ladder-Verfahren und RfB. Wann aber haben Sie sich zuletzt gefragt: was ist eigentlich dieses fundamental zugrundeliegende Produkt, auf dem unsere gesamte Branche basiert? In diesem Artikel wollen wir uns mit dem Versicherungsprodukt als solchem beschäftigen und vielleicht den einen oder anderen Denkanstoß geben.

Wikipedia vs. Gründer

Ein kleiner Exkurs: Nike gilt nicht nur als eines der wertvollsten, sondern auch als eines der modernsten und fortschrittlichsten Unternehmen der Welt. Der Wikipedia-Artikel zu Nike beschreibt das Unternehmen als „international tätiger, US-amerikanischer Sportartikelhersteller“ sowie als „seit 1989 weltweit führender Sportartikelanbieter“.

Phil Knight, der Gründer und langjährige CEO von Nike, beschreibt im Interview mit dem Harvard Business Review hingegen: „Wir haben im Laufe der Zeit realisiert, dass Nike in erster Linie ein Marketing-Unternehmen ist – und dass das Produkt unser wichtigstes Marketing-Tool darstellt. […] Die Designelemente sowie funktionelle Charakteristika des Produktes selbst sind lediglich ein Teil des Gesamt-Marketingprozesses.“

Rampe vs. Integration

Welche Auswirkungen hat ein solches Selbstverständnis? Am einfachsten kann man das darüber beschreiben, was bei Nike nicht passiert: es kommt nicht vor, dass Ingenieure und Designer sich gemeinsam einschließen, ein Produkt entwickeln und dieses dann an die Rampe stellen – frei nach dem Motto „nach mir die Sintflut“ – sodass Marketing und Vertrieb dann selbst zusehen müssen, was sie daraus machen. Es kommt auch nicht vor, dass Produktentwicklung und Marketing auf ihren eigenen, voneinander unabhängigen Zeitschienen fahren. Bei Nike ist es undenkbar, dass Marketing und Vertrieb das Produkt nicht verstehen oder die Vorteile und den USP nicht zielgruppengerecht kommunizieren. Produktentwicklung und Marketing sind nicht isoliert, sondern voll integriert.

Sportartikel vs. Versicherung

Kommen wir nun zurück zur Versicherung. Unsere Eingangsfrage lautete: was genau ist ein Versicherungsprodukt? Wenn wir diese Frage in der Vergangenheit mit Kunden diskutiert haben, lauteten die Antworten meist zusammengefasst: „die Kombination aus AVB und Tarif“. Demzufolge wäre ein Versicherungsprodukt also eine qualitative Beschreibung der Versicherung sowie eine quantitative Darlegung der (möglichen) Zahlungsströme.

Vor diesem Hintergrund entwickeln wohlmeinende Anwälte dutzende Seiten lange Versicherungsbedingungen, die selbst die meisten Versicherungskaufleute kaum entziffern können. Ebenso wohlmeinende Aktuare entwickeln komplexe Modelle, von Annuitäten bis 3-Topf-Hybriden, die letztlich kaum ein Kunde mehr durchblickt.

Status quo vs. Zukunftspotenzial

Die simple Auffassung eines Versicherungsproduktes als „AVB + Tarif“ führt zu einer ganzen Reihe an Einschränkungen. Dabei bleibt es leider nicht bei den oben beschriebenen Problemen, die das Nicht-Einbinden von Funktionen wie Marketing und Vertrieb mit sich bringt. Ein zu eng gefasstes Produktverständnis bringt auch logistische Probleme, da Produktentwicklung und Policierung sowie Bestandsführung nur unzureichend aufeinander abgestimmt sind. Allen voran führt es jedoch dazu, dass Mitarbeitende in verschiedensten Bereichen – von Schadenabwicklung bis IT – das Produkt als etwas auffassen, um das sich andere kümmern. Dies führt zu vielfältigen Insuffizienzen entlang der Wertschöpfungskette, sprich: viel potenzieller Wertbeitrag bleibt auf der Strecke.

Demgegenüber bietet ein ganzheitliches, integriertes Produktverständnis die Chance, entlang der gesamten internen Wertschöpfungskette Reibung abzubauen, Koordination und Verständnis zu verbessern und damit letztlich auch dem Kunden ein Erlebnis aus einem Guss zu bieten.

Abbildung 1: Modell Produktentwicklung

Selbstverständnis vs. Rahmenbedingungen

Aus unserer Sicht liegt der Schlüssel zu einer optimierten Produktentwicklung darin, unternehmensweit ein ganzheitliches Produktverständnis zu etablieren. So entwickeln alle Beteiligten ein neues Selbstverständnis über ihren Beitrag zum Unternehmen. Ganz nach dem NASA-Hausmeister, der John F. Kennedy auf die Frage, was er da mit seinem Besen tue, antwortete: „I’m helping to put a man on the moon.“

Darüber hinaus müssen übergreifende Faktoren wie Profitabilität (Was bringt uns das Produkt wirklich über die nächsten 5 Jahre?) und Digitalisierung (Was ist der optimale Grad an Digitalisierung?) kontinuierlich eingearbeitet werden. Dabei kann z. B. der optimale Digitalisierungsgrad an verschiedenen Stellen unterschiedlich ausfallen.

Ein solches ganzheitliches Produktverständnis kann sich positiv auf mehreren Dimensionen auswirken. Von stark verkürzter Time-to-Market über erhöhte Wettbewerbsfähigkeit und Kundenorientierung bis hin zu Fortschritten in Nachhaltigkeit oder Kosteneffizienz lassen sich unterschiedliche Hebel in der Produktentwicklung in Bewegung setzen. Entscheidend ist dabei, nicht einzelne Dimensionen isoliert zu betrachten, sondern immer das große Ganze im Blick zu behalten.

Fazit: ganzheitliches Produktverständnis als Wettbewerbsvorteil

In der Produktentwicklung müssen Aktuare, Juristen, Verkäufer, ITler usw. zusammenarbeiten – da sind lange Abstimmungsschleifen die Regel, Potenzial wird häufig nicht genutzt. Oft fallen auch erst nach der Einführung eines Produktes Probleme auf, deren Behebung im Nachhinein dann sehr teuer werden kann. Beispiele dafür sind suboptimale Vertriebsunterlagen und -schulungen oder falsche Markteinschätzungen. In der Konsequenz werden Produkte zu wenig verkauft, weil die Zielgruppe nicht adäquat angesprochen wird. Aber auch wenn ein Produkt zu viel verkauft wird kann es Probleme geben, da es nicht für eine so hohe Absatzmenge designed ist. Es bauen sich massive Rückstände in Policierung und Bestandsverwaltung auf, weil diese Abteilungen dann nicht auf den Ansturm vorbereitet sind.

Über unser Modell kann die Produktentwicklung sowohl schneller und effizienter werden, als auch innovativer und agiler. Das Besondere an unserem Vorgehen ist, dass wir ein völlig neues ganzheitliches Produktverständnis installieren. Dieses bietet eine ideale Grundlage für alle zukünftigen Optimierungen.

Krob, B.