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Green Transformation: Den Weg zur klimaneutralen Stahlerzeugung erfolgreich beschreiten

Spätestens seitdem sich die Europäische Union mit dem Green Deal das Ziel gesetzt hat, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden, spürt die Stahlindustrie den immensen Druck, ihre Wertschöpfungskette nachhaltiger zu gestalten. Allein in Deutschland liegt ihr Anteil an den gesamten industriellen CO2-Emissionen bei 30 Prozent.1 Die gesetzten Klimaziele können daher nur durch den aktiven Beitrag der Stahlindustrie erreicht werden. Die zunehmende Bedeutung von Corporate Social Responsibility sowie die steigenden CO2-Preise verstärken den Handlungsdruck zusätzlich. Doch welche Hebel zur Emissionseinsparung haben Stahlproduzenten? Und welche Herausforderungen müssen sie bei der Green Transformation meistern?

Nachhaltigkeit ist wichtiger als je zuvor. Mit Fridays for Future und dem Pariser Abkommen hat das Thema bereits alle Gesellschaftsschichten vereinnahmt. Längst werden Unternehmen nicht nur anhand der zu erwartenden Gewinne bewertet, sondern auch auf Basis ihrer Corporate Social Responsibility (CSR). Untersuchungen zeigen, dass Firmen, die das Thema Nachhaltigkeit proaktiv angehen, sowohl ihren Unternehmenswert um bis zu 6 Prozent steigern2 als auch die Eigenkapitalrendite um bis zu 18 Prozent erhöhen können.3 Eine mit konkreten Maßnahmen untermauerte Nachhaltigkeitsstrategie verbessert somit nicht nur das Image, sondern auch die finanzielle Performance. Demnach ist es wenig verwunderlich, dass Automobilhersteller wie Volkswagen oder Renault ihre gesamte Lieferkette klimaneutral gestalten wollen. Auch der Bau- und Gebäudesektor setzt zahlreiche Maßnahmen zur Reduktion von CO2-Emissionen über den gesamten Lebenszyklus der errichteten Gebäude um. Zusammen repräsentieren diese beiden Sektoren 60 Prozent des gesamten Stahlbedarfs in Deutschland.4 Für die deutsche Stahlindustrie bedeutet das, dass die Nachfrage nach grünem Stahl kundenseitig signifikant wächst und die Bereitstellung in naher Zukunft ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein wird.

Stahlproduzenten müssen sich frühzeitig positionieren

Auch die zukünftige Entwicklung des europäischen Emissionshandels birgt enorme finanzielle Risiken für Stahlproduzenten. Die jährliche Reduzierung der kostenlos zugeteilten CO2-Zertifikate um 2,2 Prozent sorgt für einen stetigen Preisdruck mittels künstlicher Verknappung.5 Lag der Preis Mitte 2020 bei rund 16 Euro je Tonne CO2, liegt er ein Jahr später bereits bei 50 Euro. Sollte er sich noch in diesem Jahr auf 100 Euro je Tonne erhöhen – wie einige Experten prognostizieren – hätte dies für Stahlerzeuger eine Mehrbelastung von 13 Milliarden Euro zur Folge.6 Zudem sorgt die geplante Verringerung der CO2-Zertifikate für weitere Unsicherheiten in der Kostenplanung. Industriesektoren, die von der Verlagerung der CO2-Emissionen in Nicht-EU-Drittstaaten, dem sogenannten Carbon Leakage, betroffen sind, sind davon befreit. Allerdings ist die Zukunft dieses Schutzmechanismus nach Ablauf der vierten Handelsperiode im Jahr 2030 ungewiss. Stahlproduzenten sollten sich demnach bereits frühzeitig positionieren, um mögliche Mehrkosten zu vermeiden und durch Investitionen schnellstmöglich eine Kostenparität gegenüber dem Kauf weiterer CO2-Zertifkate zu erreichen.

Abbildung 1: Treiber der Dekarbonisierung

Fast zwei Drittel des europäischen Stahls wird mittels Primärverfahren über die Hochofenroute hergestellt.7 Dabei wird Eisenerz mithilfe von Koks zu Roheisen weiterverarbeitet und anschließend durch Zugabe von Sauerstoff im Konverter zu Rohstahl aufbereitet. Insbesondere in der Verarbeitung von Kohle zu Koks und dem anschließenden Reduktionsprozess im Hochofen werden erhebliche Mengen an CO2 freigesetzt. Somit liegt hier der erste Ansatzpunkt für Stahlproduzenten, um die CO2-Emissionen zu verringen. Beispielsweise versprechen eine effiziente Wärmerückgewinnung, das integrierte Management von Energieströmen sowie die Einführung von CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) bereits Einsparpotenziale von bis zu 40 Prozent.8 Diese Maßnahmen können aber in Anbetracht der klimapolitischen Ziele nur eine kurzfristige Lösung sein. Langfristig führt kein Weg daran vorbei, klimaneutrale Herstellverfahren zu nutzen.

Grüner Wasserstoff ermöglicht klimaneutrale Stahlherstellung

Ein solches Herstellverfahren, das über die entsprechende technologische Reife verfügt, ist mittels eines elektrisch betriebenen Lichtbogenofens möglich. In Kombination mit der Direktreduktion lassen sich mithilfe von alternativen Reduktionsmitteln, wie Erdgas und Wasserstoff, emissionslastige Prozessschritte gänzlich vermeiden, darunter die Verarbeitung von Kohle zu Koks, das Sintern des Feinerzes und die Reduktion im Hochofen. Während das Direktreduktionsverfahren mit Erdgas bereits zwei Drittel weniger CO2-Emissionen als die konventionelle Hochofenroute verursacht, ermöglicht die Nutzung von Wasserstoff einen klimaneutralen Erzeugungsprozess. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Wasserstoff mittels Elektrolyse und grünem Strom hergestellt wurde. Alternative klimaneutrale Herstellverfahren, wie zum Beispiel Plasma-Schmelzreduktion oder Schmelzoxidelektrolyse, sind zwar vielversprechend, befinden sich momentan aber noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Dadurch ist ihre technische und wirtschaftliche Realisierbarkeit im industriellen Kontext noch nicht gewährleistet.

Nach heutigem Entwicklungsstand verursacht die Direktreduktion mit grünem Wasserstoff über 60 Prozent an Mehrkosten im Vergleich zur konventionellen Hochofenroute.9 Der großflächige Einsatz von grünem Wasserstoff als Reduktionsmittel wird daher in Zukunft maßgeblich durch dessen Bereitstellungskosten beeinflusst werden. In unserer Reihe zur Wirtschaftlichkeit von Wasserstoffanwendungen haben wir bereits eine umfassende Analyse zur Anwendbarkeit und den künftig notwendigen Rahmenbedingungen für den Einsatz von Wasserstoff in der Stahlindustrie durchgeführt. Das folgende Schaubild gibt einen Überblick über mögliche Maßnahmen zur Dekarbonisierung einzelner Prozessschritte im Hochofenverfahren.

Abbildung 2: Vereinfachte Darstellung der Stahlproduktion mit Hochofenroute

In Anbetracht der gesetzten Klimaziele bis zum Jahr 2050 müssen Stahlproduzenten bereits heute einen Aktionsplan zur klimaneutralen Stahlerzeugung ausarbeiten und umsetzen. Dabei ist die individuelle Situation des Unternehmens von zentraler Bedeutung, da es keinen pauschalen Ansatz zur Dekarbonisierung gibt. Die optimalen Schritte unterscheiden sich je nach Produktionsstandort und -prozess, dem Produktportfolio sowie der bereits umgesetzten Maßnahmen. Stahlproduzenten sollten zunächst ihren aktuellen CO2-Footprint ermitteln. Anschließend empfiehlt es sich, die Möglichkeiten zur Dekarbonisierung strukturiert zu analysieren. Dies kann beispielsweise in Zusammenarbeit mit dem TÜV Süd erfolgen. Danach müssen die damit verbundenen Aufwände beurteilt werden. Darauf aufbauend sollten Unternehmen konkrete Maßnahmen zur Dekarbonisierung ableiten und priorisieren.

Abbildung 3: Phasenplan zur Dekarbonisierung

Haben wir Ihr Interesse geweckt?

Stahlproduzenten können ihre anspruchsvollen Unternehmensziele nur erreichen, wenn sie frühzeitig handeln und eine langfristige Roadmap erarbeiten. Gerne begleiten wir Sie auf diesem Weg – zögern Sie nicht uns anzusprechen!

Glöckner, A. / Hund, A. / Maldonado, C.