Artikel

Wirtschaftlichkeit von Wasserstoffanwendungen am Beispiel Stahlerzeugung

Die Dekarbonisierung der Stahlproduktion ist aufgrund des hohen Emissionsvolumens ein wichtiger Hebel für die Erreichung der gesetzten Klimaziele. Eine mögliche Lösung bietet die Direktreduktion von Rohstahl unter Einsatz von grünem Wasserstoff. Doch kann ein wirtschaftlicher Einsatz dieser Technologie erreicht werden – und welche Voraussetzungen sind hierfür nötig?

Wasserstoff stellt einen zentralen Baustein der europäischen sowie der nationalen Strategie Deutschlands zur Erreichung der Klimaziele für 2050 dar. Dabei liegt der Fokus auf grünem Wasserstoff, der mittels Elektrolyse gewonnen wird. Es stellt sich allerdings die Frage, in welchen Bereichen die Anwendung von Wasserstoff profitabel und wirtschaftlich sein kann. Zur Bewertung der spezifischen Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Anwendungsgebiete zum heutigen Stand und in unterschiedlichen Zukunftsszenarien haben wir ein umfassendes Analysemodell entwickelt. Dessen Ziel ist es, ein klares Bild darüber zu schaffen, in welchen Bereichen der Einsatz sinnvoll sein kann – und in welchen nicht mit einem kompetitiven Einsatz zu rechnen ist.

Ein potenzielles Anwendungsfeld ist die Erzeugung von Stahl. Diese ist von besonderer Relevanz, da die heutigen Produktionstechnologien hohe Treibhausgasemissionen mit sich bringen. Insbesondere für Deutschland als größtes stahlerzeugendes Land der EU mit einem Produktionsvolumen von knapp 40 Mio. Tonnen Rohstahl im Jahr 2019 ist die Suche nach emissionsarmen Alternativen von höchster Bedeutung. Der Anteil der Stahlindustrie an den Gesamtemissionen belief sich hierzulande 2018 auf ca. 6,8 Prozent.

Direktreduktion mit grünem Wasserstoff derzeit nicht wirtschaftlich

Die aktuell dominierende Technologie ist die Erzeugung mittels Kokskohle im Hochofen, wohingegen die emissionsärmere Direktreduktion von Stahl mit Erdgas in Deutschland keine signifikante Rolle spielt. Die emissionsneutrale Direktreduktion mit Wasserstoff verfügt aufgrund von Prozessähnlichkeit zur Stahlerzeugung mit Erdgas über eine vergleichsweise hohe Technologiebereitschaft. Sie befindet sich derzeit allerdings noch in der Entwicklungs- und Testphase. Doch mit den derzeitigen Kosten von grünem Wasserstoff ist eine profitable Stahlerzeugung zum heutigen Zeitpunkt auch bei Annahme der kommerziellen Einsatzbereitschaft noch nicht erreichbar.

Für eine Kostenparität mit den vorherrschenden Produktionsrouten ist ein Rückgang der Bereitstellungskosten von grünem Wasserstoff unabdingbar. Neben Effizienzgewinnen und Skaleneffekten beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft müssen sich aber auch die effektiven Stromkosten von erneuerbaren Energien weiter verringern. Eine mögliche regulatorische Maßnahme zur Erreichung von günstigerem Elektrolysestrom besteht in der Befreiung des zur Elektrolyse eingesetzten erneuerbaren Stroms von Steuern, Umlagen und Netzentgelten.

Höherer Emissionspreis ist für rein marktwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit erforderlich

Eine weitere Erkenntnis aus den Untersuchungen ist, dass neben der Kostenreduktion von Wasserstoff ein gesteigerter CO2-Preis für die Wirtschaftlichkeit von grünem Wasserstoff in der Stahlindustrie erforderlich ist. Allerdings beinhaltet auch die aktuelle Phase IV des europäischen Emissionshandels von 2021 bis 2030 als Schutzmaßnahme vor Carbon Leakage die freie Zuteilung eines Großteils der in der Stahlindustrie benötigten Emissionszertifikate. Dadurch wird die Lenkwirkung der Emissionsbepreisung deutlich verringert.

Um den Blick in die Zukunft zu werfen und zu prüfen, ob und wann klimaneutraler Stahl eine profitable Alternative darstellen könnte, haben wir die drei Szenarien „Geringe Veränderung“, „Deutliche Signale“ und „Grundlegender Wandel“ definiert, die sich in der zukünftigen Entwicklung der Erzeugungskosten von Wasserstoff und im CO2-Preis unterscheiden. Bei Fortschreiten der beobachteten Entwicklungen der verschiedenen Kostenfaktoren zeigt die durchgeführte Analyse, dass mittel- bis langfristig mit einer deutlichen Kostenabnahme gerechnet werden kann. Das folgende Diagramm visualisiert diese Entwicklung, wobei sich die Kostenspanne anhand der drei gewählten Szenarien bildet.

Prognostizierter Kostenkorridor für die Direktreduktion von Rohstahl mit grünem Wasserstoff

Da die reale Entwicklung der Kostenfaktoren wie z.B. der Rohstoff- und Energieträgerpreise nicht vorhersehbar ist, soll mit der Szenarienbetrachtung keine präzise Vorhersage der Zukunft getroffen werden. Vielmehr soll sie eine Analyse mehrerer möglicher Zukunftsentwicklungen und ihrer benötigten Rahmbedingungen ermöglichen. Eine grundlegende Erkenntnis der Kostenmodellierung besteht darin, dass Wasserstoff bei steigendem CO2-Preis zuerst eine Kostenparität mit Stahl auf Kohlebasis erreichen kann. Mit der erdgasbasierten Direktreduktion wird die Wettbewerbsfähigkeit jedoch erst bei höheren Erdgaspreisen bzw. höherem CO2-Preis möglich sein. Hintergrund ist, dass ein Emissionspreis aufgrund des niedrigeren Emissionsfaktors der Erzeugung mit Erdgas verglichen mit Kohlestahl einen geringeren Einfluss auf die Produktionskosten hat.

Bei richtiger Weichenstellung kann H2-Stahl mittel- bis langfristig Wirtschaftlichkeit erreichen – die Zukunft des Carbon-Leakage-Schutzes ist jedoch unklar

Unsere Analyse zeigt, dass die Direktreduktion von Rohstahl unter Einsatz von grünem Wasserstoff bei passenden Bedingungen zukünftig wirtschaftlich eingesetzt werden kann. Zur Erreichung dieses Ziels lassen sich folgende Herausforderungen identifizieren:

  • Schaffung günstiger Kostenbedingungen für die Elektrolyse, beispielsweise durch Ausnahme des erneuerbaren Stroms von bestimmten Abgaben
  • Sicherstellung der Versorgungssicherheit mit inländisch erzeugtem oder importiertem grünem Wasserstoff
  • Schaffung von effektiven Schutzmechanismen vor Carbon Leakage bei gleichzeitiger Lenkwirkung durch den Emissionszertifikatshandel

Insbesondere der dritte Punkt in Bezug auf Carbon Leakage stellt eine entscheidende Hürde auf dem Weg zur Wettbewerbsfähigkeit von Wasserstoffstahl dar. Die Europäische Kommission hat für Phase IV des Emissionshandels eine laufende Reduktion der freien Zertifikatsallokation für die Stahlindustrie entschieden. Dennoch verbleibt der größere Teil der Emissionsmenge vorerst in der freien Zuteilung, wobei bereits die derzeitige Regulierung die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Stahlindustrie belastet. Eine diskutierte Lösung für dieses Problem stellt eine Grenzsteuer für Emissionen dar, um internationale Wettbewerbsgleichheit zu schaffen und gleichzeitig die Umweltauswirkung der Stahlerzeugung einzupreisen. Hierbei ist die Sicherstellung der Effektivität und Lückenlosigkeit dieses Instruments entscheidend.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Emissionen der Stahlindustrie zur Erreichung der Klimaschutzziele reduziert werden müssen, wofür die Erzeugung mittels Wasserstoff eine der aussichtsreichsten Lösungen darstellt. Um jedoch den Wandel hin zu einer klimafreundlichen und gleichzeitig wettbewerbsfähigen Stahlindustrie zu vollziehen, müssen in Deutschland und in der EU zuerst die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Ausblick auf weitere Anwendungsfälle

Neben dem Einsatz in der Stahlindustrie analysieren wir derzeit weitere Anwendungsfälle von grünem Wasserstoff, deren detaillierte Ergebnisse wir im Laufe des Jahres veröffentlichen werden. Unter anderem betrachten wir den Einsatz in Heizsystemen sowie im Nahverkehr, was in Hinblick auf die ab August 2021 geltende Clean Vehicle Directive von besonderer Bedeutung ist. Bleiben Sie daher gespannt auf unsere Einblicke und Einschätzungen bezüglich der Zukunft des Wasserstoffs. Gerne diskutieren wir die Erkenntnisse auch in einem persönlichen Gespräch mit Ihnen – kommen Sie auf uns zu!

Schwenzer, A. / Langner, M. / Stanner, S.