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Stand der Verhandlungen für den Net Zero Industry Act (NZIA)

  • Die EU will mit dem Zero Industry Act aktive Industriepolitik im großen Stil betreiben und Cleantech-Industrien in Europa halten bzw. neu ansiedeln.
     
  • Durch konkrete Sektorziele sollen bis 2030 40% der neu entstehenden Kapazitäten in Cleantech-Industrien aus Produktionsstätten in der EU stammen.
     
  • Angedacht sind großskalige Anreiz- und Förderprogramme nach Vorbild der USA. Die Finanzierung und Ausgestaltung sind allerdings derzeit noch offen; sie werden entscheidend sein für den Erfolg des NZIA.
     
  • Bis 2030 sollen in der EU 100 GW Elektrolysekapazität installiert sein, daneben sollen 36 GW jährliche Produktionskapazität für Onshore- und Offshore- Windkraftanlagen sowie 30 GW Produktionskapazität für Photovoltaikanlagen aufgebaut sein.
     
  • Zur Umsetzung des Net Zero Industry Act sollen Genehmigungsverfahren beschleunigt und die Dauer für die Genehmigung neuer Produktionsstätten auf 9 beziehungsweise 12 Monate begrenzt werden.

Rahmenwerk für den Net Zero Industry Act: Green Deal Industrial Plan

Aufgrund eines global zunehmenden Wettlaufes um die Technologieführerschaft in Cleantech-Bereichen, ist nach Auffassung der Europäischen Kommission eine stärkere Förderung der europäischen Industrie notwendig. Der Legislativ-Vorschlag soll eine Antwort darstellen auf Initiativen wie z. B. den US Inflation Reduction Act, der vor allem darauf abzielt, die Attraktivität des Standortes USA zu erhöhen. Ebenso auf Vorhaben von Ländern wie China, Japan, Indien u. a. Der Plan der EU zur Stärkung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit unter Einhaltung der Klimaziele beruht auf vier Säulen: 

  1. Vorhersehbares und vereinfachtes regulatorisches Umfeld
  2. Schnellerer Zugang zu notwendigen Finanzierungen
  3. Aufbau einschlägiger beruflicher Kompetenzen
  4. Offener Handel für widerstandsfähige Lieferketten

Die Gesetzesinitiative „Net Zero Industry Act“ (NZIA) ist ein maßgeblicher Teil der ersten Säule (neben zum Beispiel dem geplanten europäischen Rohstoffgesetz) und liegt derzeit als Entwurf vor. 

Derzeit ist der NZIA noch nicht mit finanziellen Mitteln unterlegt.

Ziele und wesentliche Inhalte des Net Zero Industry Acts

Als Vehikel zur Operationalisierung der ambitionierten europäischen Pläne soll der NZIA eine unternehmensfreundliche und wettbewerbsorientierte europäische Industriepolitik ermöglichen. Hauptinstrumente dafür sind sektorielle Zielsetzungen für die Produktion innerhalb der EU bis 2030 und die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Eine weitere Regelung, die Priorisierung von „strategischen Klimaindustrieprojekten“ (Net Zero Resilience Projects), ist derzeit noch umstritten. 

Folgende Technologien sollen mit entsprechenden Sektorzielen gefördert werden: 

  • Solar (Photovoltaik und Thermal): 30 GW 
  • Wind (on- und offshore): 36 GW 
  • Wärmepumpen: 31 GW 
  • Elektrolyseure (installierte Kapazität): 100 GW 
  • Batterien: 55 GWh 
  • Kapazität für Kohlenstoffspeicher: 50 mt 

Weitere geförderte Technologien umfassen Biogas sowie Technologien für Netzausbau und Energie-Speichertechnologien. Durch die Sektorziele sollen bis 2030 40 Prozent der entstehenden Kapazitäten aus Produktionsstätten der EU stammen. 

Maßnahmen zur Beschleunigung und Vereinfachung der Genehmigungsverfahren sind insbesondere eine Begrenzung der Verfahrensdauer auf neun Monate (für Produktionsstätten < 1 GW) bzw. 12 Monate (für Produktionsstätten > 1 GW). Wird innerhalb der Frist von den Behörden keine ablehnende Entscheidung getroffen, kommt dies einer Genehmigung gleich (sofern die Umweltverträglichkeitsprüfung abgeschlossen ist). Bei nicht-strategischen Projekten verlängern sich die Fristen auf 12 bzw. 18 Monate.  

Weitere Regelungen umfassen die explizite Ausweisung von Gebieten, die für die Speicherung von CO2 geeignet sind, die Anwendung von Nachhaltigkeits- und Resilienzkriterien auf öffentliche Ausschreibungen und Auktionen sowie neue Institutionen zur EU-weiten Unterstützung der Transformation.

Zeitplan für weitere Verhandlungen und Beschlussfassung

Im Anschluss an die Ankündigung des Green Deal Industrial Plans wurde im März ein erster Entwurf für den NZIA von der EU-Kommission veröffentlicht. Die Verhandlungen sollen durch eine Einigung zwischen dem EU-Parlament und den Mitgliedsstaaten baldmöglichst abgeschlossen werden, jedenfalls jedoch vor der nächsten Europawahl 2024. Ein genauer Zeitplan, bis wann die Beschlussfassung geschehen sein soll, ist von offizieller Seite noch nicht erhältlich. Es ist jedoch mit einer Einigung noch im Laufe des Jahres zu rechnen.

Stellungnahmen und Kritik zur Gesetzesinitiative

Christian Ehler als Abgeordneter und Berichterstatter des Europaparlaments äußerte sich im Mai und Juni 2023 mehrfach mit Forderungen nach der Einrichtung von Net-Zero-Valleys zu Wort. In diesen Valleys soll die Umweltverträglichkeitsprüfung bereits vorab aus öffentlicher Hand erfolgen, zudem soll den Mitgliedstaaten erlaubt werden, diese Valleys zu subventionieren. Desweiteren wird von Ehler die Verknüpfung der Kriterien für grüne Technologien mit der EU-Taxonomie gefordert (bislang nicht erfolgt). Die Priorisierungsstufe der „strategischen Klimaindustrieprojekte“ (Net Zero Resilience Projects) soll gestrichen werden, da eine Beurteilung der Projekte dem Vorschlag der Kommission im Entwurf zufolge erst nach Projektstart möglich wäre und in Unsicherheit resultieren würde. Um notwendige Lieferketten für die Produktion zu fördern, soll der Scope des NZIA zudem im Ende-zu-Ende-Prinzip ausgeweitet werden. Um mehr Effektivität des NZIA zu erreichen, sollen zusätzliche Finanzmittel beispielsweise aus dem EU-Souveränitätsfonds bereitgestellt werden. 

Vertreter des Brüsseler Think Tanks „Bruegel“ fassten ihre Kritik und Änderungsvorschläge kürzlich ebenfalls in fünf Punkten zusammen: 

  1. Bruegel bevorzugt einen technologieneutralen Ansatz gegenüber der Bevorzugung bestimmter Technologien. 
  2. Der Erfolg des NZIA sollte an der Mobilisierung privater Investitionen gemessen werden und nicht an dem Ziel von 40 Prozent heimischer Produktion, da dieses Ziel nicht die unterschiedlichen EU-Kapazitäten in den Cleantech-Sektoren abbildet und zudem ein protektionistisches Signal sendet.  
  3. Für die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren ist eine stärkere europäische Steuerung notwendig, aktuell ist alles in nationaler Zuständigkeit.  
  4. Die aktuellen Vorschläge zur Nutzung öffentlicher Auftragsvergaben sind vermutlich unwirksam, mehr Flexibilität bei Kostenkriterien daher notwendig. 
  5. Eine zentrale europäische Governance ist notwendig für die gesamte grüne Industriepolitik der EU. 

Deeg, M. / Kaufmann, S.