Interview mit Radoslav Albrecht, Gründer und CEO des Berliner FinTechs Bitbond

„Niemand kennt alle Internetanwendungen, da die Vielfalt einfach zu groß ist. Eine ähnliche Entwicklung gibt es mittlerweile auch bei Blockchain.“

Radoslav Albrecht ist Gründer und CEO des Berliner FinTechs Bitbond. Er und sein Team haben Deutschlands erstes Security Token Offering durchgeführt und zählen zu den führenden Start-ups im Bereich Blockchain-Technologie.

Im Interview mit Horváth schildert Herr Albrecht, wie es zur Unternehmensgründung kam, welche Bereiche des Bankings die Blockchain-Technologie verändern wird und welchen Anteil Bitbond daran hat.

HERR ALBRECHT, WIE SIND SIE ZUM THEMA BLOCKCHAIN GEKOMMEN?

ALBRECHT / Begonnen habe ich meine Karriere 2008 bei der Deutschen Bank in London im Handel mit strukturierten Equity-Produkten. Anschließend war ich einige Zeit in einer Unternehmensberatung. 2013 habe ich dann Bitbond gegründet. Ich hatte eigentlich vor, eine Darlehensvermittlung zu gründen, in der Anleger und Darlehensnehmer weltweit aufeinandertreffen. Eine der Herausforderungen, vor die ich anfangs gestellt wurde, war: Wie organisieren wir den internationalen Zahlungsverkehr möglichst günstig und mit möglichst kurzer Transaktionszeit? Die bei der Unternehmensgründung beteiligten Banken beabsichtigten, Zusatzkosten für Nicht-SEPA-Überweisungen zu erheben, was zu einer teuren und langwierigen Transaktionsabwicklung geführt hätte. Ich hatte das Glück, dass mir bereits 2012 ein guter Freund von Bitcoin erzählt hatte. Ich hatte mich eingelesen und Anfang 2013 intensiver damit beschäftigt. Daraufhin habe ich geprüft, ob man dieses „Internetgeld“, von dem ich gehört hatte, irgendwie verwenden kann. Und dann haben wir tatsächlich Bitbond gegründet – explizit unter Verwendung des Wortes „Bit“, da wir anfangs alle Zahlungen über Bitcoin abgewickelt haben. Bitcoin hatte damals allerdings deutlich höhere Wertschwankungen als es heute der Fall ist und war damit nicht besonders gut als Basis für Darlehensgeschäfte geeignet, jedoch als gutes und günstiges Tauschmedium. Unsere Lösung bestand darin, Darlehen in US-Dollar und in Euro zu denominieren und dann mit Hilfe verschiedener Payment-Anbieter Zahlungen in lokaler Währung durchzuführen. Settlement zwischen den Parteien fand via Bitcoin nur mit extrem kurzer Haltedauer statt. Wir haben aber die Entwicklung in dem Bereich sehr intensiv verfolgt, da uns bewusst war, dass Bitcoin auf Dauer nicht die beste Lösung sein wird. Vor gut einem Jahr haben wir einen Großteil unserer Transaktionen auf die Stellar-Blockchain umgestellt. Dort nutzen wir einen Stablecoin, einen Euro-denominierten Token, der von einem französischen Zahlungsdienstanbieter herausgegeben wird. Damit verwenden wir einen digitalen Token, der alle Vorteile eines Blockchain-Tokens hat: sehr schnelle Transaktionszeiten und geringe Transaktionskosten. Letztere betragen nur den Bruchteil eines Cents, gleichzeitig gepaart mit dem Vorteil von Wechselkursstabilität, weil jeder Euro-Token, der herausgebracht wird, komplett mit echten Euros in einem Bankkonto hinterlegt ist.

Unser neuestes Projekt ist ein sogenanntes Security Token Offering (STO), welches wir letztes Jahr durchgeführt haben: Zur Refinanzierung unseres Geschäfts haben wir eine komplett digitale Anleihe emittiert. Durch unser Know-how hinsichtlich Blockchain und Tokens, haben wir die Emission so gestaltet, dass der Eigentumsnachweis an der Anleihe nicht über eine zugrunde liegende Papierurkunde stattfindet, sondern ausschließlich über einen Blockchain-basierten Token. Wir hatten über einen längeren Zeitraum – auch in Zusammenarbeit mit der BaFin – ein Wertpapierprospekt erstellt, welches Anfang letzten Jahres genehmigt wurde. Damit haben wir Deutschlands erstes Security Token Offering durchführen. Das ist ein Bereich, der sehr spannend ist, wo sehr viel Bewegung im Markt ist und worauf wir auch Bitbond voll konzentrieren. Denn viele andere Unternehmen wollen sich diese Technologie ebenfalls zu Nutze machen. Wir haben mittlerweile mehrere Banken als Kunden, die unsere Technologie zur Tokenisierung von Vermögenswerten und Wertpapieren nutzen. Dazu kommt, dass seit Anfang 2020 die Verwahrung von digitalen Vermögenswerten eine regulierte Finanzdienstleistung ist. Hier nutzen auch einige Banken unsere Technologie als White-label Lösung, um als Verwahrstelle auftreten zu können.

WIE NEHMEN SIE DIE MEINUNG ZU BLOCKCHAIN/TOKENS AM MARKT WAHR – EINERSEITES IM START-UP-BEREICH, ANDERERSEITS ABER AUCH BEI ALTEINGESESSENEN UNTERNEHMEN?

ALBRECHT / Aus meiner Sicht ist die Mehrheit der Leute in der Technologie- oder Start-up-Branche stark davon überzeugt, dass Blockchain in Zukunft eine Technologie sein wird, die eine weite Verbreitung findet. Es gibt unterschiedliche Meinungen, ob das unbedingt Consumer-Facing-Anwendungen sein werden oder ob Blockchain eher eine Infrastrukturtechnologie wird. In der etwas traditionelleren Welt des Finanzdienstleistungsbereiches gab es lange Zeit keine differenzierte Sichtweise. Das Einzige, das dort wirklich wahrgenommen wurde, sind Kryptowährungen. Diese sind extrem volatil. Volatilität ist aber „schlecht“, weshalb das Thema sehr kritisch begutachtet wurde. Während Kryptowährungen zwar eine Einsatzmöglichkeit der Technologie darstellen, gibt es durchaus viele andere Anwendungsfälle. Langsam setzt bei „gestandenen“ Unternehmen im Finanzsektor eine Veränderung ein. Und ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass das Security Token Offering, welches wir an den Start gebracht haben, durchaus auch zu einigen Veränderungen geführt hat. Das Presseecho auf unser STO war wirklich enorm. Es haben unzählige Zeitungen, inklusive FAZ, Börsenzeitung oder Handelsblatt, in einem sehr positiven Unterton darüber berichtet: Das ist eine Anwendung der Blockchain-Technologie, die nichts mit Kryptowährung zu tun hat, bei der es aber bei der Emission von Wertpapieren hohe Effizienzgewinne gibt. Und in dem Zusammenhang findet sich bei sehr vielen Bankern die Meinung, dass die Technologie tatsächlich ernst genommen werden muss. Eines ist klar: Wenn Banken ihre Kunden im Wertpapierbereich nicht besser bedienen und für diese relevant bleiben wollen, müssen sie Expertise aufbauen. Denn die Blockchain-Technologie ermöglicht es, dass Kunden ohne Bank eigene STO durchführen.

GIBT ES BESTIMMTE EINSATZGEBIETE, IN DENEN SIE BESONDERS HOHES POTENZIAL FÜR DIE TECHNOLOGIE SEHEN? ODER GLAUBEN SIE, DASS SICH DAS IN DER NÄCHSTEN ZEIT ERST NOCH ZEIGEN MUSS?

ALBRECHT / Ich glaube es gibt 2-3 Anwendungsbereiche, in denen heute schon relativ klar ist, dass Blockchain-Technologie intensiv eingesetzt wird und in Zukunft auch noch stärker genutzt wird. Zudem gibt es Bereiche, in denen sie möglicherweise genutzt wird, aber noch nicht klar ist, in welcher Intensität und in welcher Ausbreitung. Der offensichtlichste Bereich ist der Zahlungsverkehr, aus dem die Technologie prinzipiell auch stammt. Dann hat sie wahrscheinlich ihre größten Vorteile im Finanzdienstleistungsbereich. Hinzu kommt der Security-Token-Bereich, in dem wir aktiv sind. Das ist neben dem Zahlungsverkehr für die nächsten Jahre einer der größten Anwendungsfälle. Und unter dem Oberbegriff Tokenisierung wird sich noch sehr viel tun. Nicht nur der Anleihebereich, sondern generell alles, was einen Wert hat und wofür es einen Markt gibt, wird meiner Meinung nach in Zukunft tokenisiert werden, weil dann Eigentumsübertragungen effizienter stattfinden können und es kein Settlement-Risiko mehr gibt. Hinzu kommt etwa noch das Themengebiet Supply Chain. Allgemein ist Blockchain eine sehr universale Technologie – so wie das Internet. Niemand kennt alle Internetanwendungen, weil die Vielfalt einfach zu groß ist. Eine ähnliche Entwicklung gibt es mittlerweile auch bei Blockchain.

WIE HOCH SCHÄTZEN SIE DIE RELEVANZ DER BLOCKCHAIN IN DER FINANZINDUSTRIE EIN? SO WÄRE EINE BANK, DIE NICHT DAS INTERNET NUTZT, HEUTE NICHT MEHR RELEVANT. WIRD ES HINSICHTLICH BLOCKCHAIN ÄHNLICH SEIN ODER IST DIE TECHNOLOGIE EHER „NICE TO HAVE“?

ALBRECHT / Ich denke es gibt einige Bereiche, in denen es genau so sein wird: Wenn eine Bank diese Technologien nicht nutzt, dann wird sie dort einfach nicht mehr relevant bleiben können. Das wird nicht über Nacht passieren, aber man wird in fünf bis zehn Jahren sehen, wo dies der Fall sein wird. Der Bereich Vermögensanlagen, etwa Namensschuldverschreibung oder Schuldscheindarlehen, ist illiquide. Dort wird das meiste beim Alten bleiben. Die Anleger wollen allein schon aus buchhalterischen Gründen illiquide Instrumente und benötigen keine Blockchain. Im liquiden Bereich hingegen, also etwa im klassischen Wertpapiergeschäft, gehe ich fest davon aus, dass alles tokenisiert wird. Auch nicht von heute auf morgen, aber ich glaube, wenn eine Bank in zehn Jahren ihr Geschäft immer noch über Clearstream abwickelt und nicht in der Lage ist, ein Wertpapier in tokenisierter Form anzubieten, dann wird sie wahrscheinlich den Großteil ihres Geschäfts verlieren. Im Zahlungsverkehr gibt es heute schon Player wie Revolut, die die Abwicklung von internationalem Zahlungsverkehr anbieten und dort den Banken auch Geschäft abnehmen werden, wenn die Banken nicht auf andere Technologien umstellen. Das muss nicht zwangsläufig Blockchain sein – aber Blockchain ist durchaus eine der Technologien, die im internationalen Zahlungsverkehr einige der größten Effizienzgewinne mit sich bringt. Gleichzeitig machen natürlich Banken auch Geschäft, wenn Technologie eine deutlich geringere Rolle spielt, beispielsweise M&A-Beratung oder Equity Capital Markets, wo eher die Roadshow und das Investorennetzwerk der Banken die größere Rolle spielen. Es hängt also vom Geschäftsbereich ab.

WELCHE PROBLEME, HERAUSFORDERUNGEN ODER HINDERNISSE – BEISPIELSWEISE REGULATORIK ODER KULTURELLE THEMEN – SEHEN SIE HINSICHTLICH DER WEITEREN ERFORSCHUNG UND ADAPTION DER BLOCKCHAIN-TECHNOLOGIE?

ALBRECHT / Die größten Hürden sehe ich in den Wechselkosten. Denn auch, wenn ein neues System, beispielsweise im Zahlungsverkehr, besser ist als ein bestehendes, dauert es sehr lang, Letzteres abzulösen. Das ist ähnlich wie bei der E-Mail: Anfangs war eine Mailadresse eher „nice to have“, da alle Geschäftspost per Fax oder Brief erledigt wurde. Erst allmählich hat sich die Mail als führendes Kommunikationsmedium durchgesetzt. Heute ist eine Welt ohne Mail nicht vorstellbar, aber ohne Fax. Dass die Blockchain-Technologie Effizienzvorteile mit sich bringt und Finanzprodukte besser macht, ist unstrittig. Die Frage ist, wer nutzt es zuerst erfolgreich? Und da wird es ein paar Banken geben, die früher bereit sind. Auch die Regulatorik spielt eine Rolle. Grundsätzlich ist hier viel möglich. Die BaFin versucht technologieneutral zu sein, die Gesetzgebung ist dies allerdings nicht vollständig. So können wir heute keine Aktie auf die Blockchain bringen. Das ist regulatorisch einfach nicht möglich. Die BaFin ist relativ progressiv, denn sie will den Akteuren am Finanzmarkt nicht vorschreiben, welche Technologie sie verwenden sollen, sondern ihrem Auftrag gerecht werden, Finanzmarktstabilität und Verbraucherschutz durchzusetzen.

INWIEWEIT GLAUBEN SIE, DASS DER REIFEGRAD DER TECHNOLOGIE EIN PROBLEM IST?

ALBRECHT / Es gibt durchaus auch technologische Hürden, gar keine Frage. Skalierung ist ein Begriff, der häufig fällt. Wenn man das Transaktionsvolumen, das im Wertpapierbereich oder im Zahlungsverkehr mit konventionellen Technologien abgewickelt wird, auf Blockchain-basierte Technologien in der heutigen Form transferieren würde, dann würde das System kollabieren, denn es besteht keine ausreichende Kapazität für dieses Transaktionsvolumen. Die Technologien müssen in der Tat skalierbarer werden. Es reicht aber nicht als Ausrede zu sagen „Nein, wir nutzen das noch nicht.“ Denn die Probleme der Skalierbarkeit lösen sich relativ schnell. Ich glaube in den nächsten fünf bis zehn Jahren wird das keine Hürde mehr sein.

WIE WERDEN SICH DIE TECHNOLOGIE UND DIE EINSATZMÖGLICHKEITEN MITTEL- BIS LANGFRISITG WEITERENTWICKELN?

ALBRECHT / Wahrscheinlich wird die Technologie zunächst einmal in den Bereichen, in denen es bereits nennenswerte Nutzung gibt, optimiert werden. Dort wird dann auch die Anzahl der Anwendungen sowie das Transaktionsvolumen zunehmen. Ich glaube, dass wir über die nächsten drei bis fünf Jahre weiterhin die Protokolle nutzen werden, die es jetzt schon gibt, weil sie sich bewährt haben. Das ist insbesondere aus der Sicherheitserwägung ein sehr wichtiger Aspekt. Durch eine Mehrzahl an Anwendungen und Transaktionen werden diese Protokolle allerdings wahrscheinlich irgendwann an ihre Grenzen stoßen. Daher werden parallel neue Protokolle entwickelt werden. Allein heute gibt es schon über 1.000 Blockchains. Es wäre vermessen zu behaupten, man kennt alle. Wahrscheinlich werden wir im Zeitraum der nächsten fünf bis zehn Jahre zwei bis drei Blockchains sehen, deren Namen wir heute noch nicht kennen. Und die dann mit einer größeren Skalierbarkeit einherkommen, die auf bestimmte Anwendungsfälle optimiert sind. Vielleicht wird sich eine Blockchain etablieren, die ausschließlich für Security Tokens verwendet wird. Vielleicht wird sich eine Blockchain etablieren, die ausschließlich im Energie- oder im Supply-Chain-Bereich genutzt wird, die also anwendungsspezifisch ist – sozusagen für die Anwendungen in dieser Branche optimiert – und damit einhergehend dann in dieser Branche auch wiederum intensiver genutzt wird. So kann man, glaube ich, die Entwicklung beschreiben, wenn man eine Prognose über die Zukunft abgeben will.

MIT WELCHEM ARGUMENT WÜRDEN SIE BEGRÜNDEN, WARUM JEDE BANK JETZT IN BLOCKCHAIN INVESTIEREN SOLLTE?

ALBRECHT / Was ich glaube und was einige Banker auch selbst sagen ist, dass klar ist, dass Banken diese Technologien verstehen und dann auch schnell anwenden müssen, weil sie sonst nicht mehr relevant sein werden. Durch die Vorteile der Blockchain nimmt, was Infrastrukturtechnologie angeht, die Relevanz von Intermediären ab und ermöglicht Unternehmen unabhängig von Banken zu agieren. Und wenn Banken die Kundenbeziehungen halten und für die Kunden relevant bleiben möchten, dann sollten sie möglichst die neuesten Technologien nutzen, so wie sie es im Übrigen auch in der Vergangenheit getan haben. Online-Banking etwa war schon einer der frühen Anwendungsfälle des Internets. Ich glaube, die ersten Internetanwendungen, die ich benutzt habe, waren E-Mail und Online-Banking. Banken waren bei gewissen technologischen Entwicklungen historisch durchaus immer relativ weit vorne dabei. Aber ich glaube, diejenigen Banken, die in Zukunft noch relevant bleiben wollen – nicht im Horizont von zwanzig, sondern von fünf Jahren – sollten zusehen, dass sie Expertise in diesem Bereich haben und dass sie diese auch tatsächlich anwenden und nicht abwarten, was die anderen machen. Denn dann wird es zu spät sein.

VIELEN DANK FÜR DAS INTERVIEW, HERR ALBRECHT!

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