Prof. Dr. Philipp Sandner ist Leiter des Blockchain Centers der Frankfurt School of Finance & Management und zählt laut FAZ zu den einflussreichsten Ökonomen Deutschlands sowie laut Capital Magazin zu den „Top 40 unter 40“. Neben der Forschung im akademischen Umfeld fokussiert er sich auf die Beratung von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen hinsichtlich ihrer Blockchain-Aktivitäten.
Im Interview mit Horváth spricht der Blockchain-Experte über das große Potenzial der Technologie, erläutert Vorteile sowie Risiken und zeigt konkrete Anwendungen auf.
HERR PROF. DR. SANDNER, WIE SIND SIE MIT DEM THEMA BLOCKCHAIN BZW. DISTRIBUTED-LEDGER-TECHNOLOGIE IN BERÜHRUNG GEKOMMEN?
SANDNER / Ich habe mich schon immer gerne mit innovativen Themen beschäftigt und viele Tech-Blogs gelesen. Ab 2013/2014 tauchte der Bitcoin verstärkt auf, woraufhin ich mich tiefer in die Materie eingelesen habe. Je mehr ich versucht habe zu verstehen, umso mehr wurde aus dem Hobby dann Profession und später mein Beruf.
SIND SIE, RESPEKTIVE IHR INSTITUT AN DER FRANKFURT SCHOOL, DEDIZIERT AUF DAS THEMA BLOCKCHAIN AUSGERICHTET?
SANDNER / Wir sind als solitäres Institut konzentriert auf Blockchain. Ich will mich für die nächsten zehn oder zwanzig Jahre wirklich nur noch mit diesem Thema beschäftigen. Zudem forschen wir nicht nur im akademischen Umfeld, sondern funktionieren wie eine Beratung. Das bedeutet, wir gehen selbst in die Projekte, beispielsweise zu angewandter Forschung mit Bosch, Daimler oder der TU Darmstadt. Wir arbeiten auch für das Finanzministerium, für das Wirtschaftsministerium und für das Bildungsministerium sowie für die Europäische Kommission. Inzwischen sind wir 16 Kollegen und – ähnlich wie das Fraunhofer-Institut – komplett industriefinanziert. Was uns sehr am Herzen liegt, und ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist, ist die Community zusammenzuhalten. Andere Themen der digitalen Transformation wären da zeitlich nicht mehr abbildbar.
BESTREITEN SIE IHRE BERATUNGSMANDATE NUR MIT EIGENEN MITARBEITERN ODER ZIEHEN SIE AUCH DRITTE HINZU?
SANDNER / Wir arbeiten in verschiedenen Konstellationen. Viele Themen können wir selbst abdecken. Aber es gibt auch sehr spezielle Inhalte, bei denen wir auf Freelancer oder spezialisierte Beratungen ausweichen. Als Beispiel kann ich ein Projekt der thailändischen Börse anführen, die ihre komplette Infrastruktur neu auf Blockchain aufbauen möchte. Wir sind dabei Teil eines größeren Beratungsteams.
WIE BEURTEILEN SIE DIE KÜNFTIGE ROLLE DER BLOCKCHAIN-TECHNOLOGIE?
SANDNER / Die Blockchain ist außergewöhnlich faszinierend. Sie ist eine Querschnittstechnologie und wird alle Industrien weltweit erfassen – genau wie das Internet, das auch nicht national oder industriespezifisch ist. Inhaltlich wird Blockchain alles verändern, was mit dem Bereich Finance zu tun hat bzw. monetär organisiert ist. Der Euro, Aktien, Wertpapiere, Kryptowährungen, Immobilien, das Kfz-Register oder andere Vermögensgegenstände werden früher oder später auf Blockchain-Systemen laufen.
UND WELCHE MEINUNG NEHMEN SIE DAZU AM MARKT WAHR? KONKRETE INITIATIVEN GIBT ES BEREITS EINIGE, ABER MAN IST VORSICHTIG, ODER?
SANDNER / In der Tat waltet noch Vorsicht. Aber das liegt in der Natur der Sache. Eine Technologie mit einer so enormen Reichweite, die das komplette Wertemanagement weltweit in allen Industrien auf neue Beine stellt, kommt nicht über Nacht. Es wird, wie das Internet auch, 15 oder 20 Jahre dauern, bis sie sich dahingehend verbreitet hat. Würden wir die Entwicklung der Blockchain als Fortschrittsbalken betrachten, dann befänden wir uns momentan bei 0,5 von 100 Prozent. Man bemerkt jedoch am Markt, dass es immer mehr Fortschritt gibt – speziell bei den Konsortien mit ihren Leitsystemen. Aber es dauert eben.
WER IST DENN DER TREIBER HINTER DIESEN INITIATIVEN? WER STÖßT SOLCHE PROJEKTE AN?
SANDNER / Es sind ganz konkret die Firmen, die das Thema verstehen, ihre Schlüsse für die Zukunft gezogen haben und dann entsprechende Budgets aufbringen. Das sind Start-ups oder Banken und Versicherungen mit einem entsprechenden Budgetrahmen. Es sind Unternehmen, die wachsen oder einfach nur bestehen wollen. Denn es gilt: Wer sich in der Finanzszene nicht mit Blockchain beschäftigt, der wird langfristig Probleme haben, zu überleben. Die Technologie ermöglicht es den Marktteilnehmern, die Kosten zu senken. Dann sind die veralteten Strukturen nicht mehr wettbewerbsfähig. Der Loewe- oder Grundig-Effekt kommt zum Tragen und dann ist so eine Firma einfach weg. Es lässt sich konstatieren, dass kleine bzw. agile und progressive Unternehmen die besten Chancen haben, am Markt erfolgreich zu sein. Daneben haben Kryptowährungen wie Ethereum als Plattform zur bepreisten Abwicklung von Geschäftsprozessen ein ungeheures Potenzial.
WAS SIND AUS IHRER SICHT DIE WESENTLICHEN MERKMALE FÜR DEN ERFOLG DER BLOCKCHAIN?
SANDNER / Alle Arten von Transaktionen werden qualitativ besser, da es keine Matching-Probleme mehr gibt. Zudem werden sie schneller und kostengünstiger abgewickelt. Das sind Vorteile, die vor allem im Cross-Border-Geschäft außerhalb des Euro-Raums bzw. bei der globalen Transaktionsabwicklung zum Vorschein kommen. Und gerade durch die höhere Effizienz entstehen komplett neue Märkte, die aber Stand heute noch in den Kinderschuhen stecken – so ist auch Libra von Facebook zu verstehen.
WO WERDEN WIR DIESE ERFOLGE ZUERST SEHEN?
SANDNER / In Bezug auf einfache Transaktionen sind die Vorteile überwiegend außerhalb Europas relevant. Innerhalb Europas sind Transfers schon sehr effizient und kostengünstig abzuwickeln. Da ist heute bereits ein tolles System im Inland eingesetzt, das kaum substituiert werden kann. In Bezug auf Zugang zu Banking, Stichwort Libra, sind auch eher Regionen außerhalb Europas angesprochen. Aber für komplexe Transaktionen und Assets auf der Blockchain ist Europa einer der ersten Adressaten.
IN WELCHEN ANWENDUNGEN SEHEN SIE DIE GRÖßTEN POTENZIALE DER TECHNOLOGIE?
SANDNER / Es gibt zwei ganz große Domänen der Blockchain. Zum einen Register, die auf Blockchain-Basis betrieben werden können – wie Aktienbücher, Grundbücher, Handelsregister, Kfz-Register, Patientenakten, Meldewesen oder der Euro mit der Geldscheinnummer. Zum anderen die Nachvollziehbarkeit in Form eines Audit-Trail, um Informationen einfach und gerichtsfest abzuspeichern und damit potenzielle Dispute bezüglich eines Datenbestandes zu vermeiden.
Daneben können vor allem die folgenden vier Bereiche genannt werden: Finance- und Asset-Management, Financial Inclusion, Economy of Things (Machine to Machine Payments) und Industrial Finance. Gerade im produzierenden Gewerbe gibt es mehr und mehr Bewegung. Bekannte Beispiele sind die Volkswagen-Bank, Siemens Financial Services oder die BMW-Bank. Diese Geschäftseinheiten arbeiten, im Vergleich zu den klassischen Finanzintermediären, hoch profitabel. Finance bewegt sich von den reinen Finanzorganisationen hin zu den Produzenten und den Endkunden einer Dienstleistungs- oder Warentransaktion.
KÖNNEN SIE KONKRETE ANWENDUNGSBEISPIELE NENNEN?
SANDNER / Eines der spannendsten Themen, dass alle Firmen erfassen wird, ist der Euro auf Blockchain-Basis. Ziel ist, dass der Euro von Maschinen und Geräten – Stichwort IoT-Devices – in der Economy of Things genutzt werden kann. Auf dieser Basis können diese zusammenarbeiten, indem Geschäfte wie Zinszahlungen oder Konsortialkredite als „Smart Contract“ programmiert und abgewickelt werden können. Richtig spannend wird es, wenn nicht nur der Euro auf der Blockchain läuft, sondern auch Wertpapiere. Dann hätten wir Zahlung und Lieferung zum gleichen Zeitpunkt auf einem System ohne Agenten und Finanzintermediär. Das Clearing kann dann direkt „on-chain“ stattfinden. Der Euro auf Blockchain-Basis ist aus meiner Sicht eine der ganz großen Anwendungen.
GIBT ES IHNEN BEKANNTE ANWENDUNGEN, DIE TATSÄCHLICH LAUFEN?
SANDNER / Die Commerzbank hat den Euro auf Blockchain-Basis für Pilot-Transaktionen gebaut, die auch zu Buchungen in der Bilanz führen. Das sind keine Experimente mehr. Es gibt zudem ein Start-up, das ebenfalls den Euro auf Blockchain-Basis baut. Das ist dann eine E-Geld-Lizenz, denn man gründet eine Bank mit allen erforderlichen Lizenzen. Auf einer Rechnung wird weiterhin eine IBAN stehen und es wird keine Wallet benötigt. Ein weiteres Beispiel ist das USC-Projekt von UBS, Deutsche Bank und Commerzbank. Hier geht es um den Euro auf Blockchain-Basis im Geschäftsverkehr zwischen den Banken. In Bezug auf Volumina sei die Credit Suisse Group genannt, die in Frankreich eine Anleihe auf Ethereum-Basis mit ungefähr 100 Millionen Euro Emissionsvolumen aufgelegt hat. Es geht um drei Security Token, also Wertpapiere auf Blockchain-Basis, die auch von der BaFin genehmigt wurden. Bemerkenswert dabei ist, dass dieses Projekt nicht auf einem geschlossenen Bankensystem, sondern auf einer öffentlichen Blockchain gelaufen ist. Dieser Erfolg wird Nachahmer nach sich ziehen, die dann die realen Transaktionsvolumen größer werden lassen.
WARUM IST BLOCKCHAIN AUS IHRER SICHT TROTZ ERFOLGREICHER USE CASES NOCH EIN EXOTISCHES THEMA?
SANDNER / Das Senior Management der Banken ist sehr stark mit den ständig verschärften regulatorischen Anforderungen beschäftigt. Folglich fehlt es an Management-Kapazität für die Blockchain, respektive an Management-Attention. Daneben ist das technische Verständnis („Verstehenkönnen“) und die Offenheit („Verstehenwollen“) nicht ausreichend ausgeprägt. Das zeigt sich an den wenigen und indifferenten Aussagen der großen Strategieberatungen zum Thema Blockchain, obwohl dieses gerade aus strategischer Sicht spannend ist. Dazu kommt ein teils fehlendes Sachverständnis, um Bitcoin und Blockchain differenzieren zu können. Im Gegensatz zum Internet hat der Bitcoin die Gemüter entfacht und damit das Thema auch bei Journalisten weit oben auf die Agenda gebracht. Man könnte ganz plakativ ausdrücken, der Bitcoin hat die Erwartungshaltung kaputt gemacht – das muss jetzt wieder korrigiert werden. Es ist das Ergebnis von wenig Technikverständnis und fehlender Offenheit. Das ist nicht neu, im Gegenteil, das gab es immer wieder bei neuen Technologien, denken Sie nur an die Beispiele AEG, Grundig oder Kodak.
Daneben gibt es häufig nur verhältnismäßig kleine Budgets, um die Blockchain zu testen. Für das Jahr 2018 wurde der weltweite Gesamtberatungsmarkt für Blockchain-Technologie auf eine Milliarde geschätzt. Das ist weniger als der Tropfen auf dem heißen Stein.
WIE KÖNNTEN DIESE HÜRDEN AUFGELÖST WERDEN?
SANDNER / Aus meiner Sicht ist die Aus- und Weiterbildung ganz wichtig, hierfür gibt es jedoch kaum Budgets. Eine andere Möglichkeit wäre, sich im Senior Management oder der Strategieabteilung Kenntnisse der Wirtschaftsinformatik anzueignen. Ohne diese Schritte fehlt die Fähigkeit, verstehen zu können und der Wille, verstehen zu wollen. Auch im Bereich solcher Weiterbildung ist unser Institut an der Frankfurt School aktiv.
WIE BEURTEILEN SIE DIE ZUKÜNFTIGE ENTWICKLUNG DER BLOCKCHAIN?
SANDER / Eine genaue Einordnung ist immer schwierig. Früher oder später wird alles, was mit Finance zu tun hat, auf Blockchain-Basis laufen. Davon bin ich überzeugt. Den Euro auf Blockchain-Basis werden wir nächstes Jahr noch sehen, Wertpapiere haben wir schon dieses Jahr gesehen. Dann wird, um visionärer zu werden, ein komplett neues Finanz-Ökosystem, eine neue Infrastruktur des Finanzsystems, entstehen und die anderen – alten – Infrastrukturen werden abgeschafft. Dieser Prozess wird komplett regulatorisch konform ablaufen, denn es geht eben nicht darum, sich irgendwelcher existierender Regularien entledigen zu wollen.
WAS WÄREN MÖGLICHE RISIKEN FÜR EIN UNTERNEHMEN, DAS SICH JETZT MIT BLOCKCHAIN BESCHÄFTIGT?
SANDNER / Das einzige Risiko besteht darin, sich nicht mit dem Thema Blockchain zu beschäftigen. In der Folge entsteht natürlich ein kompletter Blumenstraß an Risiken, besonders in Bezug auf IT-Security. Hier ist eine ganz neue Klasse an Risiken vorhanden: Viren, die Assets stehlen oder Gelder, die plötzlich gesperrt sind und auf die niemand wieder zugreifen kann. Das sind aber nachgelagerte Details, die alle gelöst werden können. Blockchain wird die Finanzwelt, wie wir sie kennen, nachhaltig verändern. Genau wie man sich vor zwanzig Jahren mit Internet beschäftigen musste, muss man sich heute mit Blockchain beschäftigen, um zu überleben. Mir ist wichtig, und das war hoffentlich klarer Tenor meines Gesagten, dass man bei allen Risiken und Problemen nicht vergessen darf, dass das Thema Blockchain immense Chancen bietet – sowohl für etablierte Firmen und Start-ups als auch für Individuen. Das heißt, wer sich heute mit Blockchain beschäftigt, der hat in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren eine großartige Karriere vor sich.
VIELEN DANK FÜR DAS SPANNENDE INTERVIEW, HERR PROFESSOR DR. SANDNER! WIR WÜNSCHEN IHNEN WEITERHIN VIEL ERFOLG.
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Marcel Schmalisch