Interview mit Peter Reuschel, Mitgründer und CFO/COO des Fintechs Leondrino

„Ich glaube an die visionäre Kraft und den Umsetzungswillen von jungen Menschen, die das Potenzial von Blockchain erkannt haben."

Peter Reuschel ist Mitgründer und CFO/COO des Fintechs Leondrino. Die Plattform für digitale Währungen unterstützt die Tokenisierung von Geld durch markenbasierte Währungen und möchte Finanzdienstleistungen für jeden erreichbar machen. Leondrino ist einer der Pioniere auf dem Gebiet der Kryptowährungen und bietet seinen Kunden ein innovatives und einzigartiges „Currency Management-as-a-Service“ (Währungsmanagement als Dienstleistung); Kunden können ihre eigenen digitalen Währungen herausgeben und sie handelbar machen.

Im Interview mit Horváth erläutert Peter Reuschel die regulatorischen Herausforderungen und die Entwicklungen im makroökonomischen Umfeld der Kryptowährungen. Zusätzlich spricht er über die erfolgskritischen Faktoren einer weiteren Verbreitung der Technologie.

HERR REUSCHEL, WIE IST IHRE PERSÖNLICHE MEINUNG ZUM THEMA DLT/ BLOCKCHAIN?

REUSCHEL / Die Blockchain-Technologie an sich ist nur Mittel zum Zweck. Sie dient dazu, Vorfälle abzuwickeln, die auf Basis bereits etablierter klassischer Methoden bis dato nicht möglich waren.

WIE NEHMEN SIE, VERGLICHEN ZU IHRER PERSÖNLICHEN MEINUNG, DIE MEINUNG AM MARKT WAHR?

REUSCHEL / Einige basistechnologische Sachverhalte im Blockchain-Umfeld sind noch nicht geklärt. Die Frage ist, wie die Technologie sich langfristig durchsetzen wird. Auf jeden Fall ist die Blockchain jedoch ein Treiber von Technologie und regulatorischen Anpassungen. Wir befinden uns gerade in einer spannenden Zeit mit vielen Umbrüchen.

WIE SIE EBEN SCHON ANGESPROCHEN HABEN, SIND EINZELNE PUNKTE IN BEZUG AUF DIE BLOCKCHAIN-TECHNOLOGIE NOCH UNGEKLÄRT. WELCHE SIND DAS?

REUSCHEL / Das erste bekannte Thema ist Durchsatz: Wie viele Transaktionen sind pro Zeiteinheit möglich? Hierfür gäbe es neben einer Blockchain-Lösung auch Möglichkeiten mit klassischen Technologien. Dabei werden übliche Zahlvorgänge mit letzteren zusammengefasst und dann über Blockchain weiterverarbeitet. Auch der Schutz von Privatsphäre und die Datenabgrenzung sind noch ungeklärt. Wird es Standardlösungen geben? Relevant ist zudem alles rund um den Bereich „Zero Knowledge Proof“. Das sind meiner Meinung nach die Kernthemen im Blockchain-Bereich, die noch weiter erforscht werden müssen. Intensive Finanzierungen werden diese Entwicklungen künftig massiv fördern und vorantreiben.

IN WELCHEN EINSATZGEBIETEN SEHEN SIE DIE GRÖßTEN POTENZIALE DER BLOCKCHAIN-TECHNOLOGIEN?

REUSCHEL / Durch die Eigenschaft der Blockchain, virtuelle „Dinge“ nicht nur von A nach B zu kopieren, sondern wirklich zu verschieben, findet sie besondere Anwendung in Bereichen, in denen übergreifende Prozesse koordiniert werden müssen. So beispielsweise bei einem Eigentümerwechsel in einem Netzwerk ohne zentrale Instanz und ohne Vertrauen zwischen den Parteien. Prädestiniert dafür sind unter anderem das Gesundheitswesen, das Supply-Chain-Management oder Register für Eigentümerschaften, wie beispielsweise das Grundbuch oder Aktienbuch. Durch die Addition von Smart Contracts gibt es ebenfalls großes Potenzial in der Versicherungsbranche, wenn durch die Erweiterung der Idee des schon länger bekannten IFTTT (if this then that) automatische Logiken oder Ertragsinhalte abgebildet werden können, ohne dass ein Treuhandservice vorhanden sein muss. 

WIE SCHÄTZEN SIE DIE RELEVANZ DER BLOCKCHAIN-TECHNOLOGIE FÜR DIE FINANZINDUSTRIE EIN?

REUSCHEL / Dass der Einfluss von Blockchain-Technologien auf die Finanzindustrie sehr groß sein wird, steht außer Frage. Es wird letztendlich davon abhängen, wer sich in diesem Machtspiel durchsetzt. Mit Blockchain sind völlig neue Organisationsstrukturen möglich. Der heutige finanzpolitische Komplex ringt um seine Marktmacht. Auch wenn Deutschland vielleicht nicht die Einstellung teilt, haben die Treiber der Blockchain in den Emerging Markets oder auch in den USA durchaus das Interesse, das libertäre Gedankengut und die tiefgreifenden Strukturen zu verändern. Die Unterstützung von Blockchain hat also nicht nur einen technologischen, sondern auch einen ideologischen Hintergrund. Auf der anderen Seite versuchen die öffentlichen Zentralbanken, die bestehenden Strukturen mit Unterstützung der Politik zu erhalten. Meiner persönlichen Auffassung nach besteht die Ideallösung aus einem pluralistischen Währungssystem mit Infrastrukturen, sehr geringen Transaktionskosten und transparenten Spielregeln, in dem der Staat eine Aufsichtsrolle und teilweise Führungsrolle einnimmt und sowohl private Währungen als auch regionale Währungsansätze zur Stabilisierung des Währungssystems beitragen können.

GIBT ES AUS IHRER SICHT SCHON ERFOLGREICH UMGESETZTE USE CASES, DIE AUF BASIS EINER DLT-TECHNOLOGIE LAUFEN?

REUSCHEL / Wir haben bei Leondrino eine Art Standard-Lifecycle für Unternehmenswährung definiert, in dem wir je nach Stadium des Lebenszyklus verschiedene Tokenklassen haben. Die oberste Tokenklasse ist in ihren Nutzungsmöglichkeiten für den Konsumenten vergleichbar zu einer klassischen, voll handelbaren Währung wie wir sie in hochentwickelten Industriestaaten kennen. In den höheren Tokenklassen werden wir die Blockchain-Technologien einsetzen und bereiten dafür aktuell Benchmarks unter Einbeziehung der neuesten IBM-Mainframe-Generation vor. Wir hatten zuvor durchaus Tokenklassen mit herkömmlichen Technologien abgebildet, um hier die regulatorische Entwicklung abzuwarten und im Rahmen der erlaubnisbefreiten Möglichkeiten erste Kundenprojekte mit Nutzungsbeschränkungen vergleichbar mit Mehrzweckgutscheinen zu ermöglichen. Am Markt verfügbare Blockchain-Basis-Technologie bietet uns bereits aktuell die Möglichkeit, ein Konsortium mit verschiedenen Bank- und Rechenzentrumsdienstleistern aufzubauen. Auch wenn wir als Fintech bisher noch relativ unbekannt sind, sind wir in dieser Umsetzung derzeit erfolgreich unterwegs.

WIE SCHÄTZEN SIE DAS POTENZIAL VON WÄHRUNGEN WIE BEISPIELSWEISE LIBRA EIN?

REUSCHEL / Diese Währungen setzen generell, wie auch wir bei Leondrino, auf einem privaten Konsortium-Konzept auf. Sie setzen als Anfangs-Use-Case auf die Übertragung von Geld in Richtung Emerging Markets, weil dort ein besonders großer Mehrwert für den einzelnen Nutzer geschaffen werden kann. Die Bindung an einen breiten Währungskorb zur Erreichung der Stabilität funktioniert allerdings nur kurz- und nicht langfristig. Gründe hierfür sind beispielsweise regulatorische Unterschiede und Veränderungen von Spielregeln in den verschiedenen Rechtsräumen und die Differenz der Attraktivität einer global akzeptierten Währung sowie den jeweils nationalen Währungen insbesondere in Emerging Countries und die damit verbundenen Auswirkungen. In einem Medium-Beitrag von Juli 2019 habe ich bereits die Kernthemen von Libra- und Leondrino-Konzepten gegenübergestellt und bin zu der Schlussfolgerung gekommen, dass man solche Konzepte jeweils an einen Rechtsraum koppeln sollte und damit auch die Firmen miteinbezieht, so ähnlich wie heute die Börse funktioniert. Ich glaube allerdings, dass die Welt noch nicht reif für solch einen globalen Ansatz ist, da die Interessenslage noch nicht gegeben ist.

WIE SEHEN SIE AKTUELL DEN REIFEGRAD DER REGULATORIK, UM EINE ERFOLGREICHE ANWENDUNG DER BLOCKCHAIN ODER DLT-TECHNOLOGIE IN DEUTSCHLAND, IN EUROPA UND AUCH WELTWEIT VORANZUTREIBEN?

REUSCHEL / Die Umsetzung der neuesten europäischen Geldwäscherichtlinie in die nationale Gesetzgebung im Rahmen des Geldwäschegesetzes 2020 und die Einführung des Krypto-Wertes als neuer Rechtsbegriff erfolgte Ende 2019. Meine Wahrnehmung ist, dass das deutsche Parlament aktiv an den Themen arbeitet und das ganze Geschäft nicht Malta, Liechtenstein und Luxemburg überlassen möchte, ohne dabei aber eine zu dominante Rolle einzunehmen. Die Diskussion rund um die aktuellen Gesetzesinitiativen habe ich persönlich als sehr professionell empfunden. Der Versuch, schrittweise vorzugehen, über allgemeine Begriffsdefinitionen zu diskutieren und die existierenden Gesetze mit den jeweiligen Use Cases zu prüfen, die sich am Markt etablieren, ist meiner Meinung nach der richtige Weg.

WIE EMPFINDEN SIE GENERELL DAS MINDSET UND DIE EINSTELLUNG GEGENÜBER DER BLOCKCHAIN?

REUSCHEL / Im Moment ist das noch ein Thema der Krypto-Early-Innovators und noch nicht im Massenmarkt angekommen. In dieser frühen Phase wird gerne viel Unfug damit getrieben und das trägt natürlich nicht zur Akzeptanz bei. Das bleibt vor der Allgemeinheit auch nicht verborgen und schlägt sich im Meinungsbild wieder. Es liegt noch ein langer Weg vor uns und die Herausforderung besteht darin, diesen Weg so zu gestalten, dass sich die besten Innovationen durchsetzen und notwendige Regeln eingeführt werden.

WELCHEN WEITEREN HÜRDEN STEHT DIE BLOCKCHAIN-TECHNOLOGIE GEGENÜBER?

REUSCHEL / Meiner Meinung nach ist es vor allem das Thema Sicherheit, sowohl im Sinne des Schutzes der Privatsphäre im Einzelnen als auch der Schutz der Daten von in Wettbewerb stehenden Firmen auf gemeinsam genutzten Blockchain-Infrastrukturen.

WIE SEHEN SIE PERSÖNLICH DIE KÜNFTIGE ENTWICKLUNG DER BLOCKCHAIN-TECHNOLOGIE KURZ-, MITTEL- UND LANGFRISTIG?

REUSCHEL / Der kritische Faktor für die Entwicklung der Blockchain-Technologie ist, ob Deutschland als Markt von seiner generellen Skepsis in den Anfangsphasen der Umsetzung disruptiver Ideen der letzten zehn Jahre abrücken und sich wieder stärker für Innovation und den damit verbundenen Chancen und Risiken öffnen wird. Wenn dies nicht passiert, werden wir in vielen Themen weiter zurückfallen. Andere Länder, wie beispielsweise China, arbeiten mit einem viel höheren Tempo an Blockchain-Lösungen. Kurzfristig gesehen sind die nächsten zwei Jahre extrem wichtig um zu beobachten, welche Lösungsansätze und Use Cases sich am Markt etablieren – insbesondere auch im Kontext der Finanzwirtschaft und im Zahlungsverkehr. Langfristig ist der Automatisierungsgrad über Smart Contracts und über Blockchain-basierte Netze zwingend erforderlich, um die Chancen und Herausforderung des Internet of Things zu bewältigen und echte Produktivitätssteigerungen, z.B. im Bereich Supply-Chain-Management oder der Abwicklung von länderübergreifenden und komplexeren Finanztransaktionen, zu ermöglichen. Ohne Trustless-Netze oder auch einer privaten Konsortium-Umgebung wird es schwer sein, die neuen Möglichkeiten zu nutzen und da spielen dann natürlich auch die bekannten ethischen Fragen eine Rolle. Generell glaube ich nicht, dass man die Zukunft komplett vorhersehen kann, aber ich glaube an die visionäre Kraft und den Umsetzungswillen von jungen Menschen mit Programmierkenntnissen, die das Potenzial von Blockchain erkannt haben.

VIELEN DANK FÜR DAS OFFENE GESPRÄCH UND DIE INTERESSANTEN EINBLICKE!

Einen Überblick unserer Interviews sowie weitere Informationen zu unserer Sicht auf Blockchain in der Finanzindustrie finden Sie hier.

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