- „Liberation Day“ und US-Zölle befeuern keine US-Verlagerungen
- Strategische Anpassungen sowie Investitionen in Innovationen und R&D gewinnen an Bedeutung, Nachhaltigkeit kein Top-Thema mehr
Die Neuordnung der Weltwirtschaft verändert auch die deutsche Industrie. Dies hat unter anderem gravierende Folgen für die Verteilung von Investitionen und Personal, wie die 6. Jährliche Horváth-Studie CxO Priorities zeigt, für die international über 1.000 Vorstands- und Geschäftsführungsmitglieder großer Unternehmen befragt wurden.
Für die kommenden fünf Jahre planen die Unternehmen, lediglich 37 % des CAPEX am Unternehmensstandort Deutschland zu investieren, nochmals zwei Prozentpunkte weniger als im Vorjahr (39 %). Gleichzeitig verlagern sich Investitionen zunehmend nach Süd-, West- und Osteuropa. Für 2025 sind 13 % für Süd-/ Westeuropa allokiert, 12 % für Osteuropa.
„Der Wettbewerbsdruck zwingt Unternehmen im Ausland zu investieren. Sie finden in vielen Ländern niedrigere Lohnkosten, weniger Bürokratie, lokale Förderungen und eine wirtschaftliche Willkommenskultur“, sagt Ralf Sauter, Studienleiter und Partner bei der Managementberatung Horváth. „Viele Unternehmen verlagern bereits Produktionsschritte innerhalb von Europa weg vom Hochlohnstandort Deutschland hin zu Niedriglohnstandorten in Ost- bzw. Südeuropa.“ Besonders gefragt sind aktuell Standorte wie Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Kroatien und Tschechien. Unternehmen differenzieren dabei zunehmend zwischen Funktionsbereichen. So werden Länder wie Rumänien und Bulgarien bevorzugt für Montage und Verarbeitung genutzt. Insgesamt verbleiben 62 % der Investitionen deutscher Industrieunternehmen in Europa und damit mehr als im Vorjahr (2024: 58 %).
Trumps Wirtschaftspolitik befeuert keine Verlagerungen in die USA
In Nordamerika planen die Industrieunternehmen dagegen 16 % ihrer Gesamtinvestitionen 2025 zu allokieren. Dieser Anteil ist im Vergleich zur Vorjahresbefragung 2024 nicht gestiegen. „Viele Unternehmen haben bereits in den vergangenen Jahren Werke in den USA aufgebaut, unter anderem, um ihre Lieferketten zu verkürzen, vom Inflation Reduction Act zu profitieren und näher am wichtigen US-Markt zu sein“, sagt Industrie-Experte Sauter. Kurzfristige und unsichere Signale wie Zoll-Androhungen erschütterten die langfristigen Standortstrategien noch nicht, bremsten aber die Entscheidung über neue oder erweiterte Standorte in den USA.
„So lange die US-Zollpolitik noch derart dynamisch und unberechenbar ist, investiert kein Unternehmen allein wegen der Zölle in neue US-Standorte. Stattdessen setzen Unternehmen auf inkrementelle Investitionen, etwa in einzelne Maschinen oder in die Ausweitung von Schichten“, so Sauter. Hinzu komme: Ein Fabrikbau dauert mindestens ein Jahr – in dieser Zeit könnten sich die politischen Rahmenbedingungen wieder komplett verändern.
Die Geschäfte in den USA laufen aktuell zwar weiter, so der Industrie-Experte, jedoch häufig zulasten der Profitabilität. Vor allem weltweit aufgestellte Unternehmen und solche in Nischenpositionen könnten etwaige Umsatzrückgänge jedoch gut abfedern beziehungsweise kurzfristig über direkte Preisweitergaben an die Kunden lösen
China bleibt wichtig – Indien gewinnt an Attraktivität
Doch auch China bleibt relevant für die hiesige Industrie. „Trotz De-Coupling bleibt China mit 9 % geplantem Investitionsanteil ein Wachstumsmarkt. Allerdings ist den Unternehmen auch bewusst, dass sie im chinesischen Markt Defizite in der Wettbewerbsfähigkeit haben“, so der Horváth-Experte. In der Studie geben zwei Drittel der produzierenden Unternehmen an, hier gerade aktiv an ihrer Kostenstruktur zu arbeiten. Auch Indien hat mit 6 % CAPEX-Anteil an Attraktivität gewonnen. Gleichzeitig berichten 75 % der produzierenden Unternehmen von zunehmendem Wettbewerbsdruck durch chinesische Anbieter, die stärker in europäische Kernmärkte drängen und dort Marktanteile übernehmen.
Das Investitionsverhalten von Industrieunternehmen weltweit zeigt ein ähnliches Bild, wobei die Firmen mit Standorten außerhalb Deutschland noch stärker auch in anderen asiatischen Märkten als China und Indien aktiv sind.
CxO-Prioritäten: Struktur- und Strategiethemen vor Nachhaltigkeit
Die Studie zeigt einen klaren Trend: Struktur- und Technologiethemen gewinnen an Bedeutung. Die Plätze 1 bis 4 nehmen, der Reihenfolge nach, ein:die Optimierung von Kosten- und Erlösstrukturen, die digitale Transformation (inkl. Automation und AI), Innovation und R&D sowie Cyber Security.
„Automation und KI nutzen die Unternehmen als Hebel, um Kosten zu senken, effizienter zu werden, und sich über exzellente Produkte und Services vom Wettbewerb abzuheben. Auch Innovation und R&D gewinnt an Bedeutung, mehr als 80 Prozent der Unternehmen planen, ihre Investments in diesem Bereich zu erhöhen. Strukturelle, technologische und strategische Handlungsfelder liegen gerade im Fokus“, so Sauter. Anpassungen des globalen Footprint und Supply-Chain-Optimierungen sind auf Platz 5 gestiegen (2024: Platz 8). Nachhaltigkeit spielt dagegen keine strategische Rolle mehr. Das Thema ist auf Platz 11 gerutscht (2024: Platz 6). „Die Unternehmen rücken nicht von ihren Net-Zero-Zielen ab, aber sie machen nur noch das, was für sie Sinn ergibt und sich langfristig auszahlt“, sagt Ralf Sauter. „Jetzt ist die Zeit für Produktivitätssteigerungen und operative Exzellenz.“
Über die Studie
Für die 6. jährliche „Horváth CxO Priorities Study“ wurden über 1.000 Vorstands- und Geschäftsführungsmitglieder großer Unternehmen aus 15 Branchen und 33 Ländern zu aktuellen Managementtrends und Geschäftsaussichten befragt. 80 Prozent der untersuchten Unternehmen erwirtschaften mehr als 100 Millionen Euro Jahresumsatz. Produzierende Unternehmen machen die Mehrheit der befragten Firmen aus. Die Befragungen fanden von März bis Juni 2025 statt.