Rapid Prototyping – Schnelle (Kunden-)Tests werden Alltag
Die letzten Wochen haben gezeigt, dass Individuen sowie Unternehmen den Herausforderungen der Corona-Krise mit einer Vielzahl an kreativen Ideen und in beachtlicher Geschwindigkeit begegnet sind. In der Bestrebung, die Verbreitung des Virus einzudämmen und Hilfsmittel zu produzieren, wurden zahlreiche Ansätze entwickelt, die noch vor wenigen Wochen undenkbar und niemals in diesem Tempo umsetzbar gewesen wären. Ein Plädoyer für Rapid Prototyping.
Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen – und vor allem Schnelligkeit. Das wird in verschiedenen Beispielen deutlich: Von „kleineren“, inkrementellen Innovationen – wie der Weiterentwicklung von Schutzmasken, die nun im 3D-Drucker produziert werden können – bis zu „größeren“, disruptiven Ideen wie Roboter, die Hongkongs U-Bahnen automatisiert desinfizieren. Doch wie testet man Ideen, die Lösungen für Herausforderungen sein könnten, die vor Kurzem noch gar nicht existierten? Die Antwort lautet Rapid Prototyping. Dies ist eine Methode aus dem Design Thinking, die dazu dient, Ideen, Design-Features und andere Aspekte der Konzeptualisierung eines Produkts schnell, günstig und direkt auszuprobieren sowie in Kundentests zu valideren.
Als Unternehmen können auch Sie von dieser Methode profitieren. Nicht nur als schnelle Antwort auf die besonderen Herausforderungen der COVID-19-Krise, sondern auch für die eher “alltägliche” Problemstellung, Ihre Produkte und Services optimal auf die Bedürfnisse Ihrer Kunden zuzuschneiden. Schließlich ist es in Zeiten immer neuer Kundenbedürfnisse sinnvoll, Produktentwicklung mit flexiblen Prozessen und schnellen Kundentests zu befeuern.
Was ein Türöffner und Tauchermasken gemeinsam haben
In Krisen und Ausnahmesituationen sind schnelles Denken, beherztes Handeln und die zügige Umsetzung neuer Ideen wesentlich. Um kurzfristig mit neuen Herausforderungen umzugehen, sind Einzelpersonen und Unternehmen vielerorts unter Hochdruck dabei, ihre Kreativität und Problemlösungsfähigkeiten unter Beweis zu stellen. Mit ganz neuartigen Technologien, aber auch durch Zweckentfremdung von Altbewährtem, schaffen sie kreative Lösungen für neue Probleme. Es gibt eine lange Liste an Beispielen und Entwicklungen, die in letzter Zeit wortwörtlich aus dem Nichts heraus entstanden sind – nicht selten mithilfe von 3D-Drucktechnologien:
In Belgien hat ein Unternehmen namens Materialise einen Türöffner entwickelt, der sich mit dem Ellenbogen bedienen lässt und so verhindert, dass Viren über die Handflächen verteilt und aufgenommen werden. Ganz im Sinne der Open-Source-Mentalität hat Materialise die Datei kostenfrei als 3D-Druck-Vorlage im Internet veröffentlicht – für jeden verfügbar und frei weiterentwickelbar.
Die Produkt- und Feature-Skizze der Italiener zeigt anschaulich den Entwicklungsprozess einer zunächst simplen Idee, die dennoch alle wichtigen Aspekte berücksichtigt. Anhand der Skizze lassen sich die Vorteile von Rapid Prototyping festhalten:
Konzentration auf die Kernfunktionen
Schnelles Testen und frühzeitiges Einholen von direktem Feedback
Zeit- und Kostenersparnis durch das Wiederverwenden bestehender Komponenten
Theorie-Exkurs: Prototyping als Beschleunigung der Time-to-Market
(Rapid) Prototyping ist ursprünglich ein Bestandteil des Konstruktionsprozesses im Maschinenbau-Umfeld. Per Definition ist ein Prototyp eine vorläufige Version des Endprodukts. Ein Prototyp hat das Ziel, das Design zu bewerten, die Technologie zu testen oder das Funktionsprinzip zu analysieren, um die Produktspezifikation für das Endprodukt zu liefern und zu „vertesten“.
(Rapid) Prototyping kann in jeder Phase des Produktentwicklungszyklus, für jede Komponente und jedes noch so kleine Feature eingesetzt und beliebig oft wiederholt werden. Prototypen bestehen nicht zwingend aus materiellen Objekten. Es können ebenso Prototypen von Dienstleistungen oder Systemen getestet werden.
Obwohl der Begriff Prototyp in vielen Zusammenhängen wie Softwareprogrammierung, Semantik und Anwendungsentwicklung verwendet wird, ist der Zweck immer derselbe: Die schnelle und praxisnahe Vertestung von Ideen, Konzepten, Services oder Produkten und die schnellstmögliche Konfrontation mit „echten“ Nutzern bzw. Kunden. Die schnelle Umsetzung von Produkt- und Service-Ideen in konkrete Kunden- und Nutzertests spart Ressourcen und verkürzt die Time-to-Market. Zudem ermöglicht das frühe Einbeziehen der Nutzer, Fehler schnell zu beheben und die tatsächlichen Pain Points der Kunden zu bestimmen. Rapid Prototyping ermöglicht außerdem, beim frühzeitigen Testen auf neue Kundenbedürfnisse oder sogar neue Anwendungsbereiche (genannt User Innovation) aufmerksam zu werden, die noch nicht berücksichtigt wurden.
Definition Prototyp
Ein Prototyp ist die Erstversion oder das Arbeitsmodell eines neuen Produktes oder einer Erfindung. Ein Prototyp wird konstruiert und getestet, um die Machbarkeit eines Designs zu beurteilen und Probleme zu erkennen, die korrigiert werden müssen. Der Bau eines Prototyps ist eine Schlüsseletappe bei der Neuentwicklung von Produkten.
Umdenken in Rekordzeit – die Krise nutzen, um gewohnte Abläufe zu ändern
Die Herausforderungen des COVID-19-Virus und die damit einhergehenden Präventionsmaßnahmen haben in allen Industrien zu wesentlichen Veränderungen geführt, von denen die Mehrheit noch vor wenigen Wochen nicht denkbar gewesen wären. Seit Jahren wurde in vielen Unternehmen – zum Teil hitzig – diskutiert, ob Home-Office erlaubt werden soll. Mit dem Ausbruch von Corona stellt sich die Frage nach dem „ob“ nicht mehr, jedes Unternehmen ist nun bestrebt, das „wie“ anzugehen und das Arbeiten von Zuhause effizient zu realisieren. Prozesse, die bis vor Kurzem ausschließlich offline umgesetzt werden mussten, werden jetzt ganz selbstverständlich digital abgebildet. Genauso wie Home-Office in vielen Unternehmen nicht denkbar war, waren bzw. sind auch heute die Produktentwicklungsprozesse häufig in Stein gemeißelt und unterliegen einem strengen Stage-Gate-Prozess mit einer Vielzahl involvierter Stakeholder. Aus Angst vor zeit- und kostenintensiven Produktanpassungen bedingt durch negatives Kundenfeedback werden unternehmensintern langwierige Entscheidungsgremien einberufen, um alle Eventualitäten vorherzusehen. Dies hat zur Folge, dass Kunden häufig erst im letzten Schritt involviert werden und ein fast fertiges Produkt präsentiert bekommen. Nahezu alle Produkt-Features sind dann längst fixiert und Änderungen nur unter massivem Ressourcenaufwand möglich – ein Aufwand, den alle Beteiligten scheuen. Ganz zu schweigen vom Risiko, dass Start-ups aufgrund ihrer agilen Prozesse längst ein ganz ähnliches Produkt auf den Markt gebracht haben könnten. Die Sinnhaftigkeit der Praktik, Kunden zu einem sehr späten Zeitpunkt in den Entwicklungsprozess einzubeziehen, stellen die vielerlei schnellen Praxisentwicklungen der aktuellen Zeitumstände sehr plakativ in Frage.
Wie Sie disruptive Ideen entwickeln und schnellstmöglich testen
Im ersten Schritt ist es elementar, die Bedürfnisse Ihrer Kunden wirklich zu kennen und das „richtige“ Problem zu identifizieren. Hierzu müssen Sie die Einflüsse aus verschiedenen Kontexten der Umwelt – wie die Ausbreitung des COVID-19-Virus – und Entwicklungen aus anderen Industrien beobachten und in die Ideengenerierung einfließen lassen. Ziel ist es, die zentralen Herausforderungen und Anforderungen des Nutzers zu verstehen und detailliert zu skizzieren, um ein klares Zielbild abzuleiten, welches Problem genau gelöst werden soll.
Im zweiten Schritt folgt die Ideenkonkretisierung: Ideen werden angereichert und als Grobkonzepte ausgearbeitet. Es entsteht ein Ideenportfolio mit ungetesteten Ansätzen. Anschließend wird der Marktbezug hergestellt, indem Kunden über Schnelltests in die Konzeption einbezogen werden. Die hierbei verwendeten Visualisierungen und Konzepte können ganz unterschiedliche Formen annehmen – abhängig vom Produkt/Service und dem Reifegrad der Idee: Schnelle Zeichnungen, rudimentäre „Pretotypes“ – eine Vorstufe von Prototypen – bis zu detaillierteren Prototypen im ähnlichen Look and Feel des späteren Endproduktes. Ein solcher Prototyp kann beispielsweise ein App- oder Webseiten-Click-Dummy sein. Moderne technische und grafische Möglichkeiten erlauben in kürzester Zeit und mit geringem Ressourcen-Aufwand, das Ziel-Produkt „greifbar“ zu gestalten und es ersten Nutzern vorzuführen. Das so eingeholte Kundenfeedback fließt umgehend in die iterative Verbesserung der Idee ein. Ziel des zweiten Schritts ist es, eine Entscheidungsgrundlage zu schaffen, ob ein Konzept kommerziell weiterverfolgt werden soll oder ob es weiterer Anpassungen bedarf.
Die genannten Beispiele zeigen, wie sich Rapid Prototyping in der Krise bewährt hat. Doch braucht es keine Krise, um von der Methode zu profitieren. Rapid Prototyping braucht eher eine Mentalität: “Einfach machen!” lautet die Devise. Der Spruch „fail fast, fail often“, der unausweichlich mit schnellen Anpassungen und Verbesserungen einhergeht, ist mittlerweile zum geflügelten Wort geworden. Doch so banal diese Denkweise klingen mag, so grundlegend steht sie für eine neue Betrachtungsweise: Beziehen Sie Ihre Nutzer und Kunden von Beginn an mit in den Entwicklungsprozess ein! Sie werden staunen, welche Erkenntnisse bereits frühzeitig zu grundlegenden Veränderungen führen. Mit Rapid Prototyping können vom Designer bis zum Ingenieur Änderungen so schnell wie nie zuvor direkt am Konzept durchgeführt werden, die sich auf Tests unter realen Bedingungen stützen und neue Erkenntnisse bringen.
Es kommt heute mehr denn je auf Agilität und Flexibilität an. Corona zeigt, dass Produktentwicklungszyklen drastisch beschleunigt werden können. Trotzdem und vielleicht sogar gerade deshalb werden echte Probleme effektiv erkannt und deutlich schneller gelöst. Die Stärken von Rapid Prototyping sind in dieser unsicheren Zeit wichtiger denn je: Schnelligkeit, Flexibilität und agiles Handeln.