Digitalisierung der Emotion: Gute Strategie verbindet digitale und analoge Kanäle
Das Zusammenspiel der Kanäle „digital“ und „analog“ wird oft unterschätzt – ist aber grundlegend für ein durchgängiges Kundenerlebnis. Gerade in Situationen mit hoher Emotionalität dominiert der analoge Kanal. Wesentlich ist, dass dieser konsequent zu Ende gedacht und mit digitalen Prozessen verknüpft wird. Zudem sollten Unternehmen vorab klären, welche Ziele bei welcher Interaktion mit welchem Kunden erreicht werden sollen.
Aktuell scheint es nur noch eine Maxime zu geben: Alles digital! Wir bezahlen mit unseren Handys, bestellen Weihnachtsgeschenke, Essen und Kleidung wie selbstverständlich im Internet, buchen dort den nächsten Urlaub, Friseurtermin oder Arztbesuch. Warum auch nicht – kommt einem die digitale Welt doch zunehmend entgegen und erhöht den Komfort. Dennoch gibt es weiterhin Situationen, in denen der Bildschirm die soziale Interaktion mit einem Menschen nicht ersetzen kann, weil der persönliche Kontakt unabdingbar ist. Unternehmen müssen sich daher konsequent die Frage stellen: Ist die Veränderung unserer Kundenschnittstelle hin zum Digitalen tatsächlich der (einzige) Weg in die Zukunft?
Warum wir analoge Interaktion nicht unterschätzen sollten
Gerade im Notfall oder bei unerwarteten Situationen entstehen Stress, Aufregung, Unsicherheit und manchmal sogar Angst. Dann geht es nicht nur um schnelle Hilfe, sondern auch um die „emotionale Deeskalation“ des Kunden. In solchen Situationen bewirkt der persönliche Kontakt, beispielsweise über das Telefon, oft viel mehr als ein effizienter, aber unpersönlicher Onlineprozess auf dem Smartphone. Sobald die erste Emotionalität abgeschwächt und Hilfe unterwegs ist, kann eine Visualisierung – digital – auf dem Smartphone eine zusätzlich beruhigende Wirkung haben. Im Gegensatz zum telefonischen Erstkontakt kann über das Smartphone ein Prozessverlauf transparent und erlebbar gemacht werden, wodurch sich etwa eine gefühlte Wartezeit verringert.
Ein Beispiel sind weitreichende Entscheidungen wie die Anlage größerer Geldsummen oder die Aufnahme eines Kredits. Grundsätzlich präferieren die meisten Kunden in solchen Fällen den persönlichen Kontakt. Ein Mitarbeiter, der auf Gestik, Mimik sowie Stimmung eingehen kann und ein Argument aus unterschiedlichen Perspektiven erläutert, schafft persönliche Nähe und Vertrauen. Dennoch kann ein gut geführter, digitaler Prozess auch hier anstelle einer vorgeschalteten Warteschleife schon Mehrwert für den telefonischen Kontakt schaffen, etwa indem dort erste Daten erfasst werden oder leitende Fragen das Thema für das folgende Gespräch eingrenzen.
Das Zusammenspiel der Kräfte
Es gibt bereits erfolgreiche Projekte aus der Praxis. So hat beispielsweise der ADAC als größter deutscher Automobilclub im Januar 2019 das Pilotprojekt Schlüsselnotdienst in München gestartet. Im Sommer 2019 wurde das Angebot nicht nur auf Hamburg und Berlin ausgeweitet, sondern auch mit einer digitalen Anwendung ergänzt.
Hierbei legte der ADAC vor allem Wert auf die Verzahnung der Kanäle. Die initiale Meldung, dass ein Kunde sich ausgesperrt hat, kann dieser sowohl per Telefon als auch online absetzen So spiegelt der ADAC die Differenzierung der Kunden auf Basis ihrer emotionalen Verfassung. Für digital-affine, eher rationale Kunden, denen ein schlicht gehaltener Online-Prozess im Sinne einer der rationalen Abwicklung lieber ist, bietet die Anwendung einen einfachen und effizienzbezogenen Prozesseinstieg. Emotionalere Kunden können nach wie vor menschliche Interaktion am Telefon nutzen, ihre Situation erläutern und eine der Kernkompetenzen des ADACs – die Beruhigung in Ausnahmesituationen – in Anspruch nehmen. Unabhängig vom Einstieg haben aber alle Kunden die Möglichkeit, den Prozess anschließend über ihr Smartphone zu verfolgen, also beispielsweise zu sehen, an welcher Stelle des Weges sich der Helfer aktuell befindet und wann er vor Ort eintreffen wird.
Reine Digitalisierung der Kundenschnittstelle ist zu kurz gedacht
Im Idealfall bespielen sich die Kanäle gegenseitig. Nachdem definiert ist, welcher Kanal für welchen Interaktionspunkt genutzt werden soll, gilt es, sie in Einklang zu bringen – sowohl miteinander als auch mit der zugrundeliegenden Strategie. Sieht beispielsweise die Unternehmensstrategie einer Versicherung vor, Filialnutzung zu bespielen, wird die entsprechende App eher auf Terminfindung und Navigation gemünzt und weniger auf den digitalen Vertragsabschluss.
Ändern sich die strategischen Ziele, hat dies auch Einfluss auf die Ausgestaltung der Kanäle. Entscheidend ist, dabei nicht die Menschen außer Acht zu lassen, die den Service nutzen sollen. Ist es erklärtes Ziel viele Nutzer auf die App zu bekommen, muss auch das Anreizsystem der Vertriebsmitarbeiter entsprechend auf dieses Ziel eingehen.
Gegenwärtig sehen wir komplexe Anforderungen und Kundenwünsche sowie technologisch rasante Entwicklungen, die dazu verleiten, schnell auf die Trendwelle der Digitalisierung aufzuspringen. Aus Überfokussierung eines Kanals können so aber unbedacht Potenziale verloren gehen. Für ein durchgängiges, positives Kundenerlebnis wird es in Zukunft unabdingbar sein, Kanäle digital und analog so auszugestalten, dass sie sich gegenseitig ergänzen, unterstützen und bespielen.
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