Interview mit Andreas Kriegel, Senior Project Manager bei der Commerz Business Consulting GmbH

"Die Distributed Ledger Technologie (DLT) wird traditionsreiche Branchen stark verändern."

Andreas Kriegel ist Senior Project Manager bei der Commerz Business Consulting GmbH – der Inhouse Beratung der Commerzbank. Als Co-Lead des Competence Teams Technology & Innovation ist er unter anderem für die Blockchain Aktivitäten verantwortlich. Für das DLT Lab in der Commerzbank leitet er Research & Development Aufgaben sowie die Umsetzung von ersten Use Cases auf Basis der Blockchain-Technologie.

Im Interview mit Horváth spricht Andreas Kriegel über das Potenzial der Blockchain für die Bankenbranche und gibt einen spannenden Einblick in erfolgreich umgesetzte Anwendungsfälle der Commerzbank. Zudem erläutert er die Herausforderungen bezüglich der Implementierung und zeigt die wesentlichen Erfolgskriterien auf.

HERR KRIEGEL, WIE SIND SIE MIT DEM THEMA BLOCKCHAIN BZW. DISTRIBUTED LEDGER TECHNOLOGY (DLT) IN BERÜHRUNG GEKOMMEN?

KRIEGEL / Als Leser von IT-Fachmagazinen bin ich bereits sehr früh mit dem Thema Bitcoin in Kontakt gekommen und habe die Entwicklung seitdem beobachtet. In privaten und beruflichen Kreisen gewann das Thema Bitcoin bzw. DLT vor ca. 5 Jahren dann aber plötzlich zunehmend an Bedeutung. Über Meetups und Vorträge haben sich schnell Interessengruppen gebildet. Hier wurde dann auch in kleineren Projekten gemeinschaftlich an Themenstellungen gearbeitet. So hat sich aus zunächst privatem Interesse letztendlich mein heutiger beruflicher Fokus entwickelt.

WELCHE AUSWIRKUNGEN HABEN BLOCKCHAIN UND DLT IHRER MEINUNG NACH AUF DIE BANKENBRANCHE?

KRIEGEL / Blockchain ist für sich genommen keine neuartige Technologie, sondern eine Kombination von Technologien bzw. Verfahren, die schon seit geraumer Zeit genutzt werden. Spannend sind die Möglichkeiten, welche sich hieraus ergeben. Über die Verbesserung von Prozessen und Produkten geht DLT weit hinaus. Die Disruption von Wertschöpfungszweigen oder gar Branchen scheint das erklärte Ziel des seit einiger Zeit andauernden Hypes zu sein. Etablierte Unternehmen müssen ihre Rolle verteidigen oder gänzlich neu definieren. Das schafft Dynamik und sortiert den Markt langfristig neu.

WELCHE UMSETZUNGSBEISPIELE HABEN SIE SCHON BETREUT UND WORAN ARBEITEN SIE AKTUELL?

KRIEGEL / Wir verwenden in unserem Lab verschiedene DLT-Frameworks, auf deren Basis Proof-of-Concepts durchführt werden. Ein Beispiel für das Framework Corda von R3 ist die Commercial-Paper-Transaktion, an der wir zusammen mit Continental und Siemens gearbeitet haben. Wir konnten erstmals ein Geldmarktpapier vollständig digital zwischen Unternehmen auf Basis der Blockchain-Technologie abbilden und gleichzeitig mit Cash-On-Ledger handeln.
Das Prinzip von Cash-On-Ledger haben wir in einem weiteren Use Case gemeinsam mit Daimler weiterentwickelt und ein Bezahlsystem erarbeitet, bei dem die Bezahlung während des Tank- bzw. Ladevorgangs automatisiert im Payment vs. Delivery-Modus abgewickelt wird. Es findet keine vor- oder nachgelagerte Zahlungsverkehrstransaktion via SEPA-Überweisung oder Kreditkartenzahlung statt. Das ist ein entscheidender Vorteil zum Beispiel für autonom fahrende Trucks.

WENN DIE COMMERZBANK EIN PROOF-OF-CONCEPT FÜR EINE DLT-LÖSUNG DURCHFÜHRT, MUSS DABEI VON ANFANG AN EIN BUSINESS CASE HINTERLEGT SEIN? WIE ÜBERZEUGEN SIE DEN VORSTAND ODER DEN BEREICHSLEITER?

KRIEGEL / Das Prinzip eines Proof of Concepts ist, dass wir ausprobieren, ob und wie sich ein Use Case mit einer Technologie umsetzen lässt. Ein detaillierter Business Case ist in der Regel vorher nicht erforderlich, aber ohne konkrete Evaluierung des Nutzens starten wir natürlich nicht. Jeder Use Case braucht auch einen inhaltlichen Sponsor auf Bereichsvorstandsebene, um die nötigen Ressourcen und das nötige Commitment auf der Fachseite sicherzustellen. Die übergeordnete Zielsetzung muss immer eine potenzielle Implementierung bzw. Nutzung in der Bank sein. Dafür muss es schlagkräftige Argumente geben. Jeder Use Case beginnt also mit einer entsprechenden strategischen Analyse zum Teil auch mit Kunden oder Partnern zusammen.

IN WELCHEN BEREICHEN SEHEN SIE DAS GRÖßTE POTENZIAL FÜR BLOCKCHAIN ODER DLT?

KRIEGEL / Das Einsatzfeld für DLT/ Blockchain ist riesig, was man an den unzähligen Use Cases beobachten kann. Grundsätzlich kann ein DLT-Einsatz in vielen Digitalisierungs-themen sinnvoll sein. Insbesondere in Bereichen, wo viele Stakeholder aus unterschiedlichen Unternehmen auf dieselben Daten zugreifen müssen, viele Intermediäre vorhanden sind oder Werte digitalisiert werden kann DLT Vorteile bringen. Auf die Bankenwelt bezogen sehen wir sehr viel Potenzial in den Bereichen Capital Markets, Trade Finance, Payments, Identity und Crypto.

SEHEN SIE IN DER BANKENBRACHE, IM VERGLEICH ZU ANDEREN BRANCHEN, AUFGRUND DER INTERMEDIÄRSFUNKTION ODER AUCH DER HANDHABUNG MIT WERTGEGENSTÄNDEN DAS GRÖßTE DISRUPTIONSPOTENZIAL FÜR BLOCKCHAIN-TECHNOLOGIEN?

KRIEGEL / Die Bankenbranche ist aufgrund der Geschäftsmodelle in den Bereichen Geldanlage, Zahlungsverkehr und Finanzierung zukünftig sehr stark betroffen. Bisher sind viele Intermediäre erforderlich, um in zum Teil sehr komplexen Strukturen die Abwicklung von Transaktionen zu realisieren oder Werte aufzubewahren und zu verwalten. Durch DLT wird die Intermediärsfunktion in Wertschöpfungsketten zum Teil überflüssig und Werte können effizienter abgebildet werden. Die Beteiligten müssen ihre Rollen also teilweise neu definieren.

Die Technologie ist dem Kunden in erster Linie egal. Der Nutzen steht im Vordergrund. Wenn eine Zahlungsverkehrstransaktion z.B. auf Cash-On-Ledger Basis die Geschäftsabwicklung zwischen Unternehmen einfacher, schneller und kostengünstiger macht, dann wollen Unternehmen das haben.

Im Anlagebereich werden wir durch tokenisierte bzw. nativ digitale Assets langfristig ein effizienteres Ökosystem sehen, als dies heute der Fall ist. Hinzu kommen neue Assets, welche es vorher so noch nicht gab. Security Token Offerings können zu einer neuen Form der Unternehmensfinanzierung werden und ein attraktives Anlageobjekt für eine viel breitere Investorenschicht. Sobald die Infrastrukturen stehen und sich eine gute Praxis durchsetzt, wird es einen massiven Wechsel in die neue, tokenisierte Welt geben.

Im Trade-Finance-Bereich gibt es ebenfalls ein großes Disruptionspotenzial. Auf DLT Basis lassen sich die vielen Akteure, angefangen von Importeur, Exporteur, deren jeweiligen Banken, Versicherer und Logistiker bis hin zum Zoll auf eine Plattform bringen, weil der Informationsaustausch sicherer, effizienter und vertrauenswürdiger ist, als wenn alle Akteure nur ihre eigenen IT Systeme nutzen und Dokumente über Banken transferieren. 

WO SEHEN SIE DIE GRÖßTE HERAUSFORDERUNG IN DER ERFOLGREICHEN IMPLEMENTIERUNG DER TECHNOLOGIE, SODASS GANZHEITLICH PROZESSE UND WERTSCHÖPFUNGSKETTEN AUTOMATISIERT ABLAUFEN KÖNNEN?

KRIEGEL / Ein kritischer Erfolgsfaktor für Banken wird sein, ob das Know-how und die Ressourcen existieren, um deren Wertschöpfungsketten, Produkte und Services schnell genug anpassen zu können und proaktiv einen Mehrwert für den Kunden zu schaffen. Auch die Regulatorik ist eine Herausforderung. Zwar sehen wir Fortschritte in Deutschland, z.B. die Regulierung rund um Kryptowerte. Wir sind aber noch nicht am Ziel, so warten wir z.B. auf den angestoßenen Wegfall der Urkundenerfordernis für Wertpapiere, um den Automatisierungs-grad deutlich zu erhöhen. Darüber hinaus ist die Regulatorik international auch sehr unterschiedlich gestaltet, was einfache Lösungen erschwert.

Hinzu kommt, dass sehr viele Start-ups, etablierte Unternehmen und Konsortien auf DLT Basis unabhängig voneinander Lösungen von Technologie-Frameworks, über Services bis zu Plattformen entwickeln. Die sind aber nicht zwangsläufig kompatibel. Forderungen nach Interoperabilität und Standards gewinnen also an Relevanz. 

WIE BEURTEILEN SIE DIE ZUKÜNFTIGE ENTWICKLUNG VON DLT UND WIE IST IHRE PERSÖNLICHE MEINUNG HINSICHTLICH KURZ-, MITTEL- UND LANGFRISTIGER IMPLEMENTIERUNG DER TECHNOLOGIE?

KRIEGEL / Wir sehen bereits heute produktiven Lösungen, bei denen auf DLT Basis  echte Mehrwerte generiert werden. In den nächsten Jahren wird das sprunghaft ansteigen. Der heutige Reifegrad der Technologie ist auch der Grund, warum unser DLT Lab seit kurzem nicht mehr im main incubator, der R&D Einheit der Commerzbank, beheimatet ist, sondern direkt in der Lieferorganisation der Bank verankert wurde. Unser Fokus hat sich deutlich in Richtung Implementierung verschoben. Es wird aber sicher noch einige Jahre dauern, bis DLT so selbstverständlich verwendet wird, wie klassische Datenbanken heutzutage.

EINE HERAUSFORDERUNG WIRD ES SEIN, DIE HETEROGENE IT-LANDSCHAFT, DIE IN DER BANKENBRANCHE ZU FINDEN IST, ZUSAMMENZUBRINGEN UND DIE DLT-LÖSUNG ZU IMPLEMENTIEREN. SEHEN SIE DIE GEFAHR, DASS ES AN DER UMSETZUNG SCHEITERT, WEIL MAN DEN AUFWAND UNTERSCHÄTZT?

KRIEGEL / Die Integration in langjährig gewachsene, proprietäre IT-Infrastrukturen ist auch ohne DLT eine Herausforderung. Der Umsetzungsaufwand hängt von der Tiefe der technischen Integration der DLT-Lösung ab bzw. von der Radikalität des Vorhabens. Für die Abbildung eines nativ digitalen Assets braucht man nicht an Integration in die Altsysteme zu denken, da muss man komplett von vorn anfangen. Wenn eine DLT-Plattform in der Funktion einer Geschäftsanbahnung über APIs angebunden werden kann, dann hält sich der Aufwand in Grenzen. Je mehr das eigentliche Kerngeschäft transformiert wird, desto höher ist die Herausforderung.

VIELEN DANK FÜR DAS INTERESSANTE INTERVIEW, HERR KRIEGEL!

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