Artikel

Wie sich Unternehmen jetzt auf die Gasnotlage vorbereiten können

Seit dem 11. Juli fließt kein Gas mehr durch Nord Stream 1 – damit fallen die Gasimporte Deutschlands noch einmal 25 Prozent geringer aus. Wird nach Ablauf der zehntätigen Wartungszeit kein Gas mehr über die Pipeline geliefert, würde dies nach aktuellen Berechnungen unserer Experten bedeuten, dass die deutschen Gasspeicher mit Hilfe der gestiegenen Importe aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien zu Beginn der Heizperiode zwar gefüllt sind, die Reserven jedoch nicht ausreichen, um die Versorgung für den gesamten Winter zu ermöglichen – ausgehend von vergleichbaren Temperaturen und gleichbleibender Energieeffizienz wie im Vorjahr.

Weitere Faktoren, die sich negativ oder positiv auswirken können, sind eventuelle Lieferverpflichtungen ins Ausland (z. B. Österreich) einerseits sowie erhöhte Liefermengen von LNG aus den USA/Kanada andererseits (sofern die rechtzeitige Anbindung der LNG Terminals in Lubmin oder Wilhelmshaven ab Dezember oder Q1/2023 erfolgt). Unabhängig davon werden wir weiterhin auf die gestiegenen Importe aus den drei europäischen Ländern zurückgreifen müssen, die derzeit bis zu 30 Prozent der russischen Lieferungen aus Q1 (also vor der Reduktion) kompensieren können.

Gemäß einer qualitativen Markbefragung „Security of supply“ von Horváth bezogen im Juni noch 54 Prozent der befragten Energieversorger teilweise Gas aus Russland. Im Kontext der angespannten Gasmärkte rief Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am 23. Juni 2022 die zweite von drei Eskalationsstufen des Notfallplans Gas aus. Dieser sieht gerade für Unternehmen erhebliche Konsequenzen vor, die bis zur Abschaltung der Gaszufuhr reichen können. Damit droht insbesondere in der Industrie eine starke Beeinträchtigung der Produktionsprozesse.

Zudem dürften sich die Preise für Gas weiter erhöhen. Grund sind gestiegene Börsenpreise. Kostete die MWh für August 2021 noch 27,71 Euro, sind es für den August dieses Jahres bereits 177,55 Euro (jeweils zum Stichtag 31.08.). Dies entspricht dem 6,4-fachen.

Unsere Berechnungen zeigen, dass bei einem Ausfall der Gasversorgung aus Russland 15 Prozent des Erdgases kompensiert werden müssen. Das gilt nur unter idealen Bedingungen, also wenn alternative Gaslieferanten das maximal mögliche Niveau bereitstellen. In dieser angespannten Lage bieten sich für Unternehmen zunächst einige kurzfristige Reaktionen an. 

  1. Einsparpotenzial identifizieren und heben: Durch diverse Stellhebel, etwa die Vernetzung von unterschiedlichen Energiesystemen, wie zum Beispiel der Nutzung von Abwärme, lassen sich bis zu zehn Prozent der Energie einsparen, wie aktuelle Projekte zeigen. Weitere Möglichkeiten sind Energieeinsparung in Umwandlungsprozessen sowie die Anpassung der Produktionssteuerung. Dabei unterstützt die Schaffung von transparenten Produktionsprozessen und die Analyse der Investitionen nach Wirtschaftlichkeit und CO2-Einsparungen.

  2. Aktualisierung der Notfallmaßnahmen: Besonders wichtig ist dies für die von den Abschaltplänen betroffenen Industrien. Dies impliziert eine Analyse der Auswirkungen in allen Unternehmensbereichen und die Ableitung konkreter Maßnahmen, beispielsweise in den Bereichen Kommunikation, Personal oder Finanzierung, etwa zur Liquiditätssicherung.

  3. Lage des Produktionsstandortes berücksichtigen: Gas kommt künftig eher aus dem Westen nach Deutschland statt aus dem Osten. Zusätzlich mit den geringeren Speicherkapazitäten im Osten führt dies dazu, dass Unternehmen zum Beispiel in Sachsen tendenziell mehr von Engpässen betroffen sein werden als beispielsweise in Niedersachsen.

Auch mittelfristige Lösungen sollten jetzt bereits in die Betrachtung einbezogen werden

  1. Alternative Wärmelösungen stärker nutzen: Insbesondere sind die Potentiale im Bereich Geo- und Solarthermie sowie die verstärkte Nutzung von Wärmepumpen zu betrachten.

  2. Energieeinsparungen bei Gebäudemodernisierung forcieren: Durch höhere Sanierungsquoten beispielsweise in Produktionshallen und Verwaltungsgebäuden kann eine bessere Energieeffizienz erreicht werden.

  3. Unabhängigkeit von Gas vorantreiben: Potenzial liegt zum Beispiel im Bereich Wasserstoff. Dies erfordert eigene bzw. veränderte Lieferketten.

Mit diesen und weiteren Maßnahmen lässt sich die Resilienz der Wirtschaft in der aktuellen Situation steigern. Wichtig ist, dass Unternehmen die Initiative ergreifen und konkrete Schritte einleiten. Wir identifizieren mit Ihnen gerne Ihre individuellen Potenziale und helfen bei der Umsetzung.