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Lassen Sie den Schadenfall nicht zum Totalschaden werden – Wann Versicherer ihre Kunden verlieren

Welches Produkt kennen Sie, bei dem fast die Hälfte aller Kunden nach der Nutzung überlegt, den Anbieter zu wechseln? Ja, richtig: Versicherungen. Im Schadenfall ziehen Kunden eine Kündigung häufiger in Betracht als zu jedem anderen Zeitpunkt.

Die Abwicklung eines Schadenfalls ist vermutlich der wichtigste Prozess zwischen Kunden und Versicherern und der einzige Touchpoint, an dem ein Versicherer sein Leistungsversprechen erfüllen kann. Dennoch ist der Schadenmanagementprozess immer noch wenig am Kunden orientiert, intransparent und langwierig.
 
Wie sieht der Schadenprozess aus Kundensicht aus und was können Versicherungsunternehmen hier verbessern? Ein Beispiel:

Freitagabend – Sie sind bei einem Bekannten zu Besuch, der Ihnen Fotos vom letzten Urlaub auf seinem Tablet zeigen möchte. Um besser sehen zu können, rücken Sie näher und dabei stoßen Sie ein Wasserglas um – der Bildschirm des Tablets taucht in ein tiefes Schwarz!
 
„Kein Problem ich bin seit Jahren bei der “nahezu jeder deutsche Versicherer könnte hier stehen“ und hatte noch nie einen Schadenfall!“ 
 

Die Schadenmeldung

Freitagabend noch Fotos mit dem Handy gemacht, mit dem Ziel, am Sonntag den Schaden vom Sofa aus online melden zu können, startet der Kunde den Schadenprozess. Einmal das Onlineformular gefunden, darf sich der Kunde durch den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Schadendaten arbeiten, auf den sich Fachbereich und UX-Designer einigen konnten. Versicherungsnummer? Schadenhöhe in Euro? Alkohol/Medikamente? Zeugen? Polizei? Verwandtschaftsgrad zum Geschädigten? Hochladen der Bilder – max. 5 MB!

Viele Versicherer handeln bereits hier nicht kundenorientiert:

  • Zu viele Fragen! Viele Informationen sind für eine initiale Schadenanlage nicht notwendig und sollten daher erst bei Bedarf nachgefasst werden. Meist können sie sogar durch interne Daten abgeleitet werden.
  • Nicht empathisch! Die abgefragten Informationen suggerieren Misstrauen. Während der Versicherer Betrug und Schadenaufwand im Hinterkopf hat, müssen Kunden den Schadenfall akribisch schildern und fühlen sich trotz jahrelanger Kundentreue nicht wertgeschätzt. 
  • Zu kompliziert! Formulierungen und Art der Eingaben sind wenig am Kunden orientiert, sodass dieser zum Großteil frustriert abbricht und desillusioniert in den telefonischen Schadenmeldeprozess wechselt.
     

Die Schadenregulierung

Nachdem der Kunde es geschafft hat, den Schaden seinem Versicherer zu melden, startet die interne Regulierungsmaschinerie – und hier ist der Kunde in den meisten Fällen außen vor. Überblick der nächsten Schritte? Wie lange dauert es, bis mein Bekannter sein Geld bekommt? Was ist der Bearbeitungsstatus? Blackbox!
 
Für Kunden ist die Welt transparenter und einfacher geworden. Wir wissen, wann unser Paket zuhause ankommt oder das Taxi vorfährt und fürs Online-Shopping müssen wir nicht einmal mehr die Geldbörse herausholen. Der Schadenbearbeitungsprozess ist das Kontrastprogramm.

Kaum ein Versicherungsunternehmen übermittelt Kunden einen zufriedenstellenden Bearbeitungsstatus – geschweige denn eine zeitliche Einschätzung, wie lange die Bearbeitung dauern wird. Dabei handelt es sich um einen Standardprozess der tausende Male pro Jahr in ähnlicher Form bearbeitet wird. Durch gezielte Prozessoptimierungen und -anpassungen wäre es Versicherern durchaus möglich, den Schadenprozess schneller und transparenter zu gestalten:

  • Flexibilität in der Bearbeitung schaffen, sodass Rückstandssituationen vereinfacht entgegengesteuert und Verzögerungen verhindert werden können. Durch flexibles Anpassen von Abgabegrenzen und Prüfquoten, erhöhtes Aussteuern an Drittanbieter oder Erhöhung von Regulierungsgrenzen lassen sich flexibilisierende Mechanismen schaffen.
  • Kleinstschäden und unauffällige Standardschäden automatisiert/fiktiv regulieren. Über den gezielten Einsatz von Regelwerken und die Nutzung von strukturierten Daten lassen sich bereits heute regulierungsfähige Schäden identifizieren und beschleunigt bearbeiten. Versicherungsunternehmen können Kunden die fiktive Abrechnung – sofortige Auszahlung eines Geldbetrags – innerhalb von 24 Stunden anbieten, wenn eine Auszahlung vor einer Reparatur bevorzugt wird.  Dies schafft freie Kapazitäten für komplexere Schäden und beschleunigt die Schadenbearbeitung übergreifend. 
  • Gezielt Netzwerkpartner einsetzen, um den Kunden bei der Wiederinstandsetzung aktiv zu unterstützen. In vielen Schadenfällen wünschen sich Kunden lieber den Ursprungszustand zurück, als eine monetäre Erstattung zu erhalten. Durch das Einbinden von Partnern für Reparaturen oder sogar für die Übernahme ganzer Schadenbearbeitungsprozesse, kann dieser Kundenwunsch erfüllt werden. Während hierdurch interne Prozesse vermehrt automatisiert und entlastet werden, wird der Kunde zusätzlich aktiver im Schadenfall begleitet.
     

Der Schadenabschluss

Diverse Rückkopplungen später, gefolgt von einer unangenehmen Erinnerung an den Vorfall durch Ihren Bekannten, ist ein physisches Abschlussschreiben der Versicherung in der Post. Für ein neues Tablet reicht der ausgewiesene Betrag jedoch nicht!

Begründung: „Zeitwert“. 

Vom Gesamtereignis „Schadenfall“ genervt, kontaktiert der Kunde seinen Versicherer, um nachzufragen, was es mit dem aufgeführten Betrag auf sich hat.
 
Erklärung: „Natürlich bekommt man für ein 3 Jahre altes Tablet nicht den Neuwert erstattet!“ 
Was nun? Den Bekannten mit dem Abschlagsbetrag abservieren oder privat das Delta stopfen? In beiden Fällen für den betroffenen Kunden eine unzufriedenstellende Situation.

Auch wenn fachlich gesehen der Versicherer korrekt reguliert hat und seinen vertraglichen Pflichten nachgekommen ist, das Ergebnis und die Erfahrung während der Schadenbearbeitung führen zu einer massiven Zerrüttung der Kundenbeziehung. Dabei können gerade beim Schadenabschluss Versicherer Wertschätzung gegenüber Kunden beweisen:

  • Direkte Kontaktaufnahme mit dem Kunden, um sich nach dessen Wohlergehen zu erkundigen und persönlich über den Fallabschluss zu informieren – hier kann Empathie, Fürsorge und sogar ein Anstoß für Cross- und Up-Selling gelegt werden.
  • Proaktive Erklärung hinsichtlich Kürzungen, um sich bewusst den Kundenfragen zu stellen. Missverständnisse und Enttäuschungen können so frühzeitig und abschließend entgegengewirkt werden – dies erspart u.a. Bearbeitungsaufwände, die schnell höhere Kosten verursachen als initial durch die Kürzungen eingespart wurden.
  • Kürzungen gezielt reduzieren und Kulanz situativ einsetzen. Es lohnt sich, nicht jede Kürzung aufzuführen. Die Reduktion der Schadenauszahlung von 100 Euro steht nicht im Verhältnis zu den Mehrkosten einer Neukundengewinnung, die um ein Vielfaches höher sind. Zusätzlich werden Kürzungen selten dem konkreten Kundenwert und dem Risiko einer Kündigung entgegengestellt. Auch mögliche Prozesskosten im Kontext einer Kürzung berücksichtigen Versicherer selten. Dies sind jedoch wesentliche Aspekte, die eine wirtschaftliche Regulierung beeinflussen.

Auch wenn es sich hierbei um ein Beispiel handelt, lassen sich Bestandteile auf viele deutsche Versicherer übertragen. Wie in den Lösungsansätzen beschrieben, kann der Schadenprozess bereits durch kleinere Stellhebel deutlich verbessert werden – sowohl hinsichtlich der Kundenzufriedenheit als auch interner Prozesseffizienz. Negative Effekte auf die Schadenhöhe lassen sich durch reduzierte Stornoquoten und Cross- und Up-Selling-Potenziale aufwiegen. 

Wenn Sie sich beim Lesen an Herausforderungen in Ihrem Haus erinnert fühlen und Sie Ihr Schadenmanagement verbessern möchten, nehmen Sie gerne Kontakt zu uns auf. Wir verfügen über ein umfangreiches Leistungsportfolio hinsichtlich Schadenmanagement und haben führende Versicherer im Kontext Schaden/Leistung erfolgreich unterstützt. Gerne stellen wir Ihnen konkrete Fallbeispiele vor und diskutieren mit Ihnen gemeinsam, welche Stellhebel für Sie am sinnvollsten sind.
 

Steinbrück, P.