Automation Insights

Digital Twin – Grundstein für zukünftige Innovationskraft in der Automatisierungstechnik (Teil 2)

Im ersten Teil unserer Automation Insights zum Thema Digital Twin haben wir den digitalen Zwilling und seine Funktionsweise erklärt sowie seine Bedeutung und damit einhergehende Möglichkeiten für die Automatisierungstechnik diskutiert. Jetzt fragen Sie sich sicherlich: Wo steht mein Unternehmen heute diesbezüglich? In welchen Schritten kann eine Implementierung stattfinden? Und welche Hindernisse gilt es zu überwinden?

Als digitales Abbild eines Produkts oder Prozesses unterstützt der digitale Zwilling bei der Optimierung, frühzeitigen Fehlererkennung und Steigerung des Automatisierungsgrades entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Er schafft zudem neue Möglichkeiten im Service und ebnet den Weg für neue Geschäftsmodelle. Wie sollten Unternehmen jedoch vorgehen, um einen digitalen Zwilling zu implementieren?

In vier Phasen zu einem digitalen Zwilling

Für die Entwicklung und die darauffolgende Implementierung sind grundsätzlich vier Phasen zu durchlaufen:

1. Zunächst gilt es, eine engere Auswahlliste für Anwendungsfälle zu erstellen. Die Erarbeitung dieser Liste sollte in einem interdisziplinären Team aus Experten erfolgen. Ein möglicher Identifikationsansatz ist, einen genaueren Blick auf ungeklärte prozess- und produktbezogene Probleme zu werfen, deren Lösung einen Mehrwert für Kunden oder das Unternehmen schaffen könnte.

2. Anschließend steht die Auswahl und Durchführung des ersten Pilotprojekts an. Der schnelle Einstieg in ein Pilotprogramm mit iterativen und agilen Zyklen ist dabei empfehlenswert. Begrenzen Sie hierfür den Umfang, um nicht in der Komplexität verloren zu gehen und dennoch den Nutzen für das Unternehmen aufzeigen zu können. In dieser Phase werden Sie zunächst einige technische Entscheidungen treffen müssen. 'Lebt’ der digitale Zwilling beispielsweise auf Ihren eigenen Servern oder in der Cloud? Setzen sie auf eine Eigenentwicklung oder greifen sie auf eine Out-of-the-Box-Lösung zurück? Der Einsatz dieser kann die Umsetzung deutlich vereinfachen und beschleunigen, jedoch ist für einen effizienten Einsatz oft eine Anpassung notwendig. Außerdem ist abzuwägen, welche Granularität benötigt wird und welche Komplexität realisiert werden kann.

3. Die dritte Phase beinhaltet die Industrialisierung und Skalierung des Prozesses. Führen Sie den digitalen Zwilling für weitere Produkte und Prozesse ein. Beginnen Sie mit angrenzenden Prozessen und Produkten, die direkt mit dem Pilotprojekt in Verbindung stehen. Es ist jedoch Vorsicht beim Skalieren geboten: Behalten Sie immer im Blick, dass stets ein Mehrwert für Sie oder Ihre Kunden generiert wird.

4. Überwachen, messen und kontinuierlich verbessern – das ist die Prämisse der vierten Phase. Welche Vorteile ergeben sich zum Beispiel in Bezug auf Zykluszeit, Ertragsdurchsatz, Qualität und Verfügbarkeit? Welcher Nutzen leitet sich daraus für das Unternehmen ab? Welche Ergebnisse können durch Anpassungen am digitalen Zwilling in der Simulation erzielt werden und wie lautet die bestmögliche Konfiguration für das physische Produkt oder den realen Prozess?

Je nach Ausgangslage Ihres Unternehmens werden Sie den ein oder anderen Stolperstein aus dem Weg räumen müssen, um letztendlich eine skalierbare Lösung zu entwickeln. Dies beginnt bereits damit, dass bestehende Datenbanken aufgrund einer fehlenden Standardisierung oftmals eine hohe Heterogenität aufweisen und zunächst homogenisiert werden müssen. Außerdem sollten Sie bei den zugrundeliegenden Algorithmen und Datenmodellen darauf achten, dass diese individuell auf Ihren digitalen Zwilling zugeschnitten sind. Um die Funktion des Digital Twins zu gewährleisten, müssen die gesammelten Daten in Echtzeit kommuniziert werden können. Dafür ist eine cloudfähige IT-Architektur unabdingbar. Übergreifend für alle Lösungsansätze gilt: Für den Ausbau zu einer End-to-End-Lösung müssen jeweils die notwendigen Schnittstellen bedacht werden.

Unternehmen der Automatisierungs- und Antriebstechnik sollten den Einsatz mit einer strategischen Brille prüfen…

Die folgenden drei strategischen Prüffragen können Ihnen dabei helfen, den INSIGHT für das eigene Unternehmen einzuordnen.

  • Datenerfassung: Werden bereits produkt- und prozessbezogene Daten entlang der Wertschöpfungskette automatisiert und standardisiert erfasst, die über verbundene Systeme abteilungs- und standortübergreifend zur Verfügung stehen?
  • Kundenperspektive: Haben Ihre Kunden einen Bedarf an einem digitalen Zwilling, den sie entweder unmittelbar selbst nutzen können oder der ihre Produkte zuverlässiger oder innovativer macht?
  • Wettbewerb: Haben Ihre Wettbewerber schon digitale Zwillinge im Einsatz, die einen spürbaren Wettbewerbsvorteil generieren, oder haben Sie schon konkrete Vorstellungen, wie Sie durch den digitalen Zwilling einen Wettbewerbsvorteil erzielen können?

… und Handlungen ableiten

Je nach Zustimmung oder Ablehnung der strategischen Prüffragen ergeben sich Handlungsempfehlungen für die Herangehensweise an das Thema:

PREPARE – Sollten Sie die strategischen Prüffragen weitestgehend mit „Nein“ beantwortet haben, dann raten wir trotzdem von einem entspannten Zurücklehnen ab. Sie sollten in der kommenden Zeit die technischen Voraussetzungen für die Einführung eines digitalen Zwillings vorbereiten. Dazu sollten Sie beispielsweise Ihre Datenbanken harmonisieren und Schnittstellen etablieren, die Daten abteilungs- und standortübergreifend nutzbar machen.

ACT – Sie konnten mindestens eine der Fragen zu Wettbewerb und Kundenperspektive bejahen? Dann empfiehlt es sich, mit der Planung eines konkreten Pilotprojekts zu beginnen und die Zielsetzung für dieses festzulegen.

RUN – Sie stimmen allen gestellten Prüffragen klar und ohne zu zögern zu? Dann starten Sie damit, Pilotprojekte und Anwendungsfälle auszurollen. Verwenden Sie Out-of-the-Box-Lösungen, um schneller zu sein als Ihre Wettbewerber.

Aufgrund unserer Erfahrung und unserem Know-how sind wir davon überzeugt, dass Sie sich zumindest auf lange Sicht mit dem Thema beschäftigen müssen, um nicht von Ihren Wettbewerbern abgehängt zu werden. Wenn Sie Diskussionsbedarf zu unseren Einschätzungen haben, zögern Sie nicht uns anzusprechen!

Kittelberger, D. / Weinrich, J.