Horváth Innovation Insights

Ökosysteme – fernab von Biologie

Der rasante Aufstieg von Ökosystemen im Businesskontext ist eine Reaktion auf die Marktdynamik der digitalen Welt. Wachsende Kundenansprüche fordern alternative Produkt- und Serviceerfahrungen. Die erfolgreichsten Unternehmen unserer Zeit schaffen es, in starken Partnernetzwerken ihre spezialisierten Fähigkeiten und Ressourcen im Ökosystem miteinander zur verknüpfen und so völlig neue Erfahrungen zu schaffen.

Das neue Geschäftsmodell Ökosystem

Die digitale Disruption führt zu einem Paradigmenwechsel unserer Wirtschaft: Horizontale Wertschöpfungsprozesse für Produkte und Dienstleistungen haben weitgehend ausgedient – Wettbewerb findet zunehmend als Koopetition (Kooperation und Competition) statt. Prominentes Beispiel: Daimler und BWM, jahrzehntelang in hartem Konkurrenzkampf um die Mobilitätsservices der Zukunft, betreiben heute gemeinsam das Mobilitätsökosystem „your now“.  Dieses soll sämtliche Bedürfnisse urbaner Kunden nach Mobilität abdecken. Auch in anderen Branchen, etwa in der Finanzindustrie, entstehen mit COMECO (Sparda Banken) und ihrer neuen Plattform TEO oder Iconic Finance (Allianz) Allfinanzökosysteme.

Diese Ansätze haben eines gemeinsam: Sie wollen den Kunden durch das Schaffen von Alltagsrelevanz und Convenience möglichst lange in ihrem Umfeld, dem Ökosystem, halten und einen Wechsel zu anderen Lösungen verhindern (Lock-in-Effekt). Die Grundidee solcher Ökosysteme: Unternehmen erstellen ihre angebotenen Leistungen nicht ausschließlich selbst – sie bedienen sich der Partnerschaft mit anderen Anbietern, um spezialisierte Angebote in attraktive Angebotsbündel zusammenzufassen.

Traditionelle Geschäftsmodelle, die dazu neigen, den Schwerpunkt auf interne Kompetenzen zu legen, reichen in einer Welt mit stark vernetzten Ökosystemen nicht mehr aus. Heute nutzen erfolgreiche Unternehmen die gemeinsamen Kompetenzen eines ganzen Netzwerks an Partnern, um einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen.

Dr. Marco Iansiti, Harvard Professor

Was ist eigentlich ein Ökosystem?

Ökosysteme sind eine Ausprägung plattformbasierter Geschäftsmodelle, da sie digitale oder physische Plattformen nutzen, um Anbieter und Nachfrager zusammenzuführen und Transaktionskosten zwischen den Akteuren zu minimieren. Anders als in traditionell vertikalen Märkten strukturieren sich die Unternehmen in Ökosystemen rund um die Bedürfnisse der Kunden.

Ein Ökosystem ist ein Netzwerk von Akteuren, das durch seinen Zusammenschluss die Marktleistung und Wertschöpfung jedes Unternehmens im Sinne einer durchgängigen, kundenorientierten Gesamtlösung bestmöglich ausnutzt. In einem Ökosystem erweitert die Kombination einzelner Fähigkeiten und Angebote der Akteure also das Wertversprechen und somit das Leistungsangebot für den Kunden. So werden Leistungen für Kunden erstellt, die aus vielen Einzelangeboten der Akteure bestehen. Für den Endkunden sind im Idealfall die vielen Einzelleistungen gar nicht mehr als solche erkennbar.

Ein Unternehmen, das ein Ökosystem aufbauen will, muss sich deshalb die Frage stellen, in welchen Lebensbereichen des Kunden es Bedürfnisse befriedigen möchte und wie Partner dabei helfen können, diesen Lebensbereich bestmöglich abzudecken. Nur jene Unternehmen, die beim Aufbau eines Ökosystems konsequent vom Kundennutzen aus innovieren und dies auch von den anderen Akteuren verlangen, werden erfolgreich sein und den gewünschten Lock-in-Effekt der Kunden erzielen.

Positionierung im Ökosystem

Die verschiedenen Akteure des Ökosystems können, je nach Ausprägung ihrer Fähigkeiten, unterschiedliche Rollen im Ökosystem einnehmen und drei grundlegende, auch kombinierbare Strategien verfolgen:

  • Meist gibt es ein führendes Unternehmen des Ökosystems, Orchestrator genannt. Dieses liefert die Infrastruktur bzw. die Plattform, auf der das Ökosystem aufbaut, setzt die Regeln des Miteinanders fest und definiert den Grad der Offenheit des Ökosystems.
  • Die Partner sind jene Akteure im Ökosystem, die ihre Inhalte, Produkte und Services in das Ökosystem einbringen. Sie erweitern das Wertversprechen des führenden Unternehmens auf sinnvolle Weise in unterschiedlichen Lebensbereichen.
  • Eine weitere Strategie, mit der sich ein Unternehmen im Ökosystem positionieren kann, ist als Zulieferer. Dieser fungiert eher im Hintergrund, indem er die Plattform um technologische Komponenten erweitert. Dies kann beispielsweise der Anbieter einer Bezahlplattform, eines Shopsystems oder anderer Technologien sein, die das Ökosystem braucht, um seine Leistungen zu erbringen.

Welche der drei Strategien ein Unternehmen im Ökosystem verfolgt, hängt von dessen Fähigkeiten ab. Die Strategien schließen sich aber nicht gegenseitig aus. Für ein Unternehmen, das in einem Lebensbereich die Strategie des Orchestrators wählt, kann es sinnvoll sein, sich in einem anderen Bereich als Partner oder Zulieferer zu positionieren.

Deutlich zu erkennen ist, dass erfolgreiche Plattformen eine marktbeherrschende Stellung einnehmen – man spricht von „Winner-takes-it-all-Märkten“. Deshalb muss sich jeder CEO die Frage nach der Plattformstrategie seiner Firma stellen. Entweder baut ein Unternehmen selbst eine offene Industrieplattform in der Rolle eines Orchestrators auf. Oder es wartet, bis ein anderer dies macht und wird Teil davon, indem es die eigenen Produkte und Dienstleistungen auf der Plattform anbietet. Der erste Fall ist bei Betrachtung der bisherigen Forschungen der vielversprechendere.

Ausblick: Aufbau eines Ökosystems in der Finanzindustrie

Das Zeitalter der Ökosysteme hat gerade erst begonnen. Aktuell versuchen Unternehmen fast aller Branchen die wesentlichen Lebensbereiche der Kunden mit attraktiven Bündelprodukten zu besetzen. Es wird sich weisen, welche Player als Orchestrator die Angebote der Zukunft formen, welche Ökosysteme sich gegen andere durchsetzen und schlussendlich den Akteuren die erhofften Erträge liefern.

Der Zeitdruck beim Aufbau eines Ökosystems, in dem man als Orchestrator fungieren möchte, steigt. Wie man erfolgreich ein Ökosystem in der Finanzbranche aufbaut, welche Fragen man sich dabei stellen muss und welche Kompetenzen es für den Aufbau braucht, erläutern wir in unserem nächsten Artikel.

Grundlogiken von Geschäftsmodellen: Vom Produktunternehmen bis hin zu Plattformen und Ökosystemen (angelehnt an Tyoschitz, 2018)

Unsere Kompetenz beim Aufbau von Plattformen und Ökosystemen

Wenn wir Ihr Interesse am Aufbau von Plattformen oder Ökosystemen wecken konnten, nehmen Sie gerne Kontakt zu uns auf. Wir bieten ein umfangreiches Leistungsportfolio im Bereich Innovation und stellen Ihnen ganz konkrete Fallbeispiele unserer Kunden vor.