Automation Insights: Impulsgespräch mit Matthias Weisskopf, OECHSLER AG

Wird die additive Fertigung die produzierende Industrie nachhaltig verändern?

Matthias Weisskopf, Senior Vice President Global Product & Technology Development bei der OECHSLER AG, einem Global Player der Kunststoffindustrie, spricht im Impulsgespräch mit Daniel Kittelberger, Principal bei Horváth & Partners über den Stellenwert der additiven Fertigung bei der OECHSLER AG und die Bedeutung für die produzierende Industrie.

Additive Fertigung (englisch Additive Manufacturing, kurz AM), auch bekannt als 3D-Druck, bezeichnet im industriellen Kontext Fertigungsverfahren, bei denen Material Schicht für Schicht aufgetragen und dadurch dreidimensionale Gegenstände erzeugt werden können. Dadurch können präzise geometrische Formen realisiert und die Produktion flexibler und effizienter gestaltet werden.

OECHSLER ist bereits heute einer der wenigen und gleichzeitig einer der größten Produzenten von 3D-Druck Komponenten. Das kunststoffverarbeitende Unternehmen erkannte die Möglichkeiten der additiven Fertigung bereits früh. Deshalb setzt sich das global agierende Unternehmen aus Ansbach schon seit 15 Jahren mit Themen, wie Rapid Tooling (Werkzeuge und Formen) und Rapid Prototyping (die Fertigung von Anschauungs- und Funktionsprototypen) auseinander. Inzwischen hat sich additive Fertigung dort als gebräuchliches Produktionsverfahren für Großserien und industrielle Anwendungen mit großer Skalierung etabliert und ist zu einer zentralen strategischen Säule der Unternehmensstrategie geworden. Seit nunmehr über zwei Jahren produziert das Unternehmen über eine Millionen Komponenten und Systeme pro Jahr für den internationalen Endkundenmarkt, vor allem in dem Bereich Sporting & Consumer Goods und Automotive. Durch Partnerschaften mit den wichtigsten Technologieunternehmen im Kunststoff-3D-Druck, gestalten sie aktiv die Technologie-, Material- und Prozessentwicklung mit. Als Bindeglied und Technology-Befähiger wird das Ansbacher Unternehmen sowohl von ihren Zulieferern als auch von ihren Kunden als wertvoller Partner betrachtet. 

Die Flexibilität des Fertigungsverfahrens erweitert das Leistungsangebot für Kunden

Herr Weisskopf, welche Leistungen bietet die OECHSLER AG ihren Kunden im Bereich additive Fertigung und welche Ziele verfolgen Sie damit?

M. WEISSKOPF Durch die vielseitigen Möglichkeiten des 3D-Drucks können unseren Kunden inzwischen Serviceleistungen entlang der gesamten Value-Chain angeboten werden: von Produktideation, über die Produkt-, Technologie-, Prozess- und Materialentwicklung bis hin zur globalen Serienproduktion. Dabei geht es darum, Produkte und Entwicklungen zu identifizieren, welche Serienpotential aufweisen und entweder funktionale Eigenschaften besitzen oder nicht anders hergestellt werden können. Ein Beispiel ist der Football Helm von Riddell. Den für seine Sicherheit preisgekürten Helm haben wir innerhalb von 100 Tagen von den Prototypen in die Industrialisierung zur Massenproduktion gebracht. Für einen Helm bedeutet das beispielsweise eine Optimierung des Aufprallschutzes je nach Kopfregion, bei einem Autositz hingegen die Individualisierung des Sitzkomforts oder die Reduktion des Gewichtes. Auf technologischer Ebene bewerten wir immer die Skalierbarkeit. Das heißt, wir setzen keine additiven „Manufaktur-Technologien“ für Kleinstserien ein. Auch hier gilt, es gibt keine 3D-Druck-Technologie, die alle Bedürfnisse erfüllt. Für die Wettbewerbsfähigkeit ist ein Portfolio an verschiedenen sich ergänzenden additiven Technologien zielführend. Gegenüber dem Spritzguss verfolgen wir keinen Cost-Down-Ansatz, sondern verstehen die Additive Fertigung als wichtigen Hebel zur Flexibilisierung unserer Fertigung.

Diversifikation des Produktportfolios ermöglicht Wachstum in bestehenden Märkten

Was wollen Sie mit der jüngsten Ausweitung der Anstrengungen im Bereich der Additiven Fertigung erreichen? Welche Ziele verfolgen Sie dabei?

M. WEISSKOPF Mit der additiven Fertigung verfolgt wir auf Unternehmensebene das Ziel, neue Produkte und Märkte zu erschließen, um unser bisheriges Angebotsportfolios weiter zu diversifizieren. Anstatt das bestehende Geschäft zu ersetzen, soll die additive Fertigung helfen, unser Wachstum in bestehenden Märkten zukünftig fortzusetzen. Das bedeutet auch unserem Anspruch als einer der größten Serienfertiger im kunststoffbasierten 3D-Druck gerecht zu werden. In einer sich so schnell entwickelnden Industrie, wie dem 3D-Druck, bedeutet dies sich auf zukünftige Trends vorzubereiten, die richtigen Partnerschaften einzugehen und mutig neue Konzepte, wie beispielsweise der dezentralen Produktion, umzusetzen.

Bieten Sie Ihre Kompetenz und die entsprechenden Kapazitäten ausschließlich Kunden im Rahmen von „Engineer-to-Order“ Aufträgen an, oder wollen Sie auch als Fertigungsdienstleiter agieren?

M. WEISSKOPF Bei der additiven Fertigung verfolgen wir einen Full-Service Ansatz. Der Kunde kann also alles aus einer Hand erhalten. Dabei werden unsere Kunden technologie- und materialunabhängig beraten. Aktuell werden zwar auch reine Fertigungsdienstleistungen angeboten, der Fokus wird aber im Engineer-to-Order liegen.

Aufgrund der Groß-Skalierung in der Produktion und der damit verbundenen Serienprozesse werden unseren Kunden zudem Dienstleistungen angeboten, um die Produkte zu verbessern und um weitere Kosten-, Prozess- und Leistungsparameteroptimierungen zu realisieren. Wir können auf einen tiefen Erfahrungsschatz zurückgreifen, sowohl was die Entwicklung von Produkten, aber auch was die Errichtung einer skalierten Serienproduktion angeht.

Das „Drucken“ deckt häufig nur 50% der Prozesskette ab

Die grundlegenden Vorteile von additiver Fertigung werden schon seit mehreren Jahren diskutiert. Weshalb stößt das Thema Ihrer Meinung nach in manchen Betrieben auf Begeisterung, während andere skeptisch sind?

M. WEISSKOPF Das „Drucken“ deckt häufig nur 50% der Prozesskette ab, die vor- und nachgelagerten Prozesse wurden in der Vergangenheit völlig vernachlässigt. Es gab und gibt immer noch keine massentauglichen „Plug-In“ Lösungen. Während viele 3D-Druck Start-ups keine großen Erfahrungen im Produktionsumfeld haben, sind es produzierende Firmen gewohnt, von Lieferanten und Partnern etablierte Lösungen zu erhalten und nicht Grundlagen erarbeiten zu müssen. Diese enormen Aufwendungen und damit verbundenen Risiken werden häufig nur dann in Kauf genommen, wenn das zu erwartende Seriengeschäft groß genug ist, um die Vorleistungen zu finanzieren. Eine weitere Hürde ist die Identifikation von fähigen Entwicklern. Diese sind häufig die Top-Absolventen ihrer Universitäten und werden von großen Unternehmen abgeworben. Kleinere Firmen sind im Gegensatz zu großen Unternehmen agiler und offener für Neues und Veränderungen. Diese sind zwingend notwendig, um additive Fertigung zu etablieren und auszurollen. Es fehlt also oft an den richtigen Strukturen, Ressourcen und Know-how, um das additive Fertigungsverfahren in einem Unternehmen erfolgreich zu etablieren.

Weshalb greifen Unternehmen auf additive Fertigung zurück? Welche konkreten Vorteile erhoffen sich Ihre Kunden dadurch im Vergleich zu herkömmlichen Fertigungsverfahren?

M. WEISSKOPF In der Entwicklung können wir bereits heute eine deutliche Verkürzung der Entwicklungszeiten und mögliche Parallelentwicklung von Konzepten zu konstanten Kosten erreichen. Wir sehen dies als zentralen Beitrag, um den immer kürzer werdenden Entwicklungs- und Produktzyklen gerecht zu werden.  

Darüber hinaus gibt es klassische Vorteile wie die Reduktion von Investitionen, günstigere und flexiblere Änderungen an Produkten und in der Produktion, steigende Variantenvielfalt oder die Reduktion von Montageprozessen. 

Auch die Design- und Formfreiheit führt zu Raum für Innovation. Wichtig ist, dass die Expertise über additive Fertigungsverfahren bereits früh in der Neuproduktentwicklung einfließt.  Wir sehen häufig, dass Potentiale nicht genutzt werden, weil die Grenzen der traditionellen Fertigungsverfahren zugrunde gelegt werden.

Additive Manufacturing verändert Produkte, Wertketten und ganze Geschäftsmodelle

Wie wird die additive Fertigung die produzierende Industrie nachhaltig verändern?

M. WEISSKOPF Ich sehe hier drei wesentliche Aspekte. Zum einen ermöglicht additive Fertigung zukünftig komplexere Bauteile, die mit klassischen Technologien in zwei Produktionsschritte und einer anschließenden Montage produziert werden müssen. Zweitens sehen wir einen deutlichen Trend zur dezentralen Fertigung. Das bedeutet, es werden Kapazitäten angeboten, da Maschinen zu 100% flexibel sind. Drittens und damit weiter in die Zukunft gedacht, könnte die Bedeutung von Leistungen rund um die Produktion sinken. Dann würden produzierende Unternehmen eher reine, margenschwächere Produktionskapazitäten anbieten, anstatt die heute margenstarken Produktentwicklungsdienstleistungen. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg, insbesondere weil die Vor- und nachgelagerten Prozesse noch nicht standardisiert sind.

Gibt es Besonderheiten, die für Großkonzerne gelten?

M. WEISSKOPF Ein entscheidender Faktor wird sicher von der weiteren Kostenentwicklung der Technologien abhängen. Wir sehen, dass Großkonzerne sich verstärkt mit additiver Fertigung auseinandersetzen und das unabhängig von der jeweiligen Industrie. Häufig findet dies noch im Labor-Umfang statt, um Entwicklungen voranzutreiben oder für hochpreisige Segmente. Ich glaube nicht, dass Großkonzerne in Zukunft beginnen Großserienkapazitäten im Additive Manufacturing aufzubauen. Analog zum Spritzguss werden sich Großkonzerne auch hier auf Ihre Zuliefernetzwerke verlassen, zumindest wenn wir über die Massenproduktion sprechen. Hier stellt OECHSLER ein ideales Bindeglied zwischen den Möglichkeiten der Technologie und den Anforderungen von OEMs dar, weil wir Serienproduktion ermöglichen.

Noch eine abschließende Frage, Herr Weisskopf: Wie sehen die unmittelbaren nächsten Entwicklungsschritte aus, die sich OECHSLER vor diesem Hintergrund vorgenommen hat?

M. WEISSKOPF Bei einer so jungen Technologie wie 3D-Druck ist das kontinuierliche Tracken und Erweitern des Technologieportfolios wichtig. Das bedeutet für uns auch in Zukunft attraktive Kundenprojekte umzusetzen, um der Partner der Wahl für Technologieunternehmen zu bleiben. Darüber hinaus trennen wir die Prozesse zwischen Maschine, Material und Produkt. Und wir erhöhen den Automatisierungsgrad der Fertigungsschritte in Verbindung mit der Qualitätssicherung, um damit Vorreiter bei der Standardisierung der Vor- und nachgelagerten Prozesse zu werden.

Vielen Dank Herr Weisskopf. Ich bedanke mich für das spannende Gespräch.

Weitere Informationen zum Thema "Additive Manufacturing" finden Sie hier: Automatisierung von morgen – How additive is your manufacturing footprint?